Vielfalt säen, Nachhaltigkeit ernten: Warum Europa mehr Vielfalt in der Landwirtschaft braucht
Viele Landwirtinnen und Landwirte in der Europäischen Union (EU) stehen vor wichtigen Entscheidungen, denn umweltbedingte Bedrohungen und ein Einnahmeverlust, der auf nicht nachhaltige Produktionsmodelle zurückzuführen ist, zwingen sie dazu, ihre Anbausysteme zu überdenken. Das EU-finanzierte Projekt Diverfarming (Crop diversification and low-input farming across Europe: from practitioners engagement and ecosystems services to increased revenues and chain organisation) stellt Daten, Instrumente und Unterstützung bereit, die sie zur Einführung ertragreicherer, ressourceneffizienter Praktiken benötigen. Am vielversprechendsten unter diesen Praktiken ist die Diversifizierung von Kulturpflanzen, die einen Kernaspekt der Agrarökologie ausmacht. „Landwirtschaftliche Praktiken, die sich auf intensive Mechanisierung, umfangreiche Zuführung externer Stoffe und Monokulturen stützen, haben zu einer Bodendegradation geführt, die biologische Vielfalt verringert und das wirtschaftliche Risiko für die europäischen Landwirtinnen und Landwirte erhöht“, so Diverfarming-Projektkoordinator Raúl Zornoza Belmonte, Experte in Bodenqualität von der Technischen Universität Cartagena in Spanien. „Die Diversifizierung von Kulturpflanzen und die Optimierung der Ressourcennutzung stellen nachhaltigere Alternativen dar.“ Über Diversifizierung ist es möglich, eine Reihe greifbarer Vorteile für Personen, die in der Landwirtschaft tätig sind, sowie für die ländliche Umwelt zu erschließen. Sie trägt dazu bei, Bodenerosion vorzubeugen, die Bodenfruchtbarkeit zu steigern sowie die Kohlenstoffbindung im Boden zu verbessern. Gleichzeitig ermöglicht Diversifizierung eine Reduzierung des Pestizid-, Düngemittel- und Schwermaschineneinsatzes. Eine höhere Vielfalt birgt außerdem das Potenzial, die Produktivität wie auch die Widerstandsfähigkeit landwirtschaftlicher Betriebssysteme zu erhöhen, und das nicht nur in Bezug auf wirtschaftliche Aspekte, sondern auch im Angesicht des Klimawandels. Wirken diese Faktoren zusammen, kann das zu einer höheren Rentabilität führen sowie zu einer Minderung des Klimawandels beitragen, eine Erhöhung der biologischen Vielfalt fördern und darüber hinaus die Bereitstellung von Ökosystemleistungen durch die Landwirtschaft steigern.
Maßgeschneiderte Lösungen
Die Forschungsergebnisse des Projektteams zeigen, dass sich diese Vorteile nur dann effektiv nutzen lassen, wenn bestimmte Veränderungen entlang der landwirtschaftlichen Wertschöpfungsketten vorgenommen werden. Hierbei ist zudem auf spezifische Charakteristika jeder einzelnen Region zu achten. Diese Kontextspezifität bildet einen weiteren wichtigen Grundsatz der Agrarökologie. Berücksichtigt werden müssen Klima- und Bodenbedingungen, sozioökonomische und kulturelle Aspekte sowie technische Einschränkungen. Das Projekt konzentriert sich auf die besonderen Charakteristika von sechs Regionen in Europa, in denen unterschiedliche Klimaverhältnisse herrschen: Nord- und südmediterranes, mittelatlantisches, kontinentales, pannonisches sowie boreales Klima. Diverfarming beschäftigt sich derzeit mit tatsächlichen Vorteilen bzw. praktischen Beschränkungen, Hindernissen und Schwächen, die in Zusammenhang mit diversifizierten Anbausystemen auftreten, wenn auf die jeweilige Region zugeschnittene, landwirtschaftliche Praktiken mit geringem Input Anwendung finden. Das Projekt arbeitet direkt mit landwirtschaftlichen Betrieben in diesen Regionen zusammen. „Um Landwirtinnen und Landwirte sowie lokale Interessengruppen bei der Ausgestaltung eines Paradigmenwechsels in der europäischen Landwirtschaft miteinbeziehen und von ihrem Wissen über lokale Gegebenheiten profitieren zu können, haben wir ein Netzwerk für Vielfalt in der Landwirtschaft ins Leben gerufen, das Raum für gemeinsames Gestalten, gegenseitigen Austausch und gemeinschaftliche Innovation bietet“, fügt Zornoza Belmonte an. In der Agrarökologie steht Innovation im Mittelpunkt. Somit spielt Neugestaltung auch bei der Arbeit von Diverfarming eine zentrale Rolle. Das Team hat den Prototyp einer Maschine entwickelt, die Verbesserungen bei der Bodenbearbeitung realisiert und gleichzeitig Arbeitskosten, Kraftstoffverbrauch sowie Treibhausgasemissionen senkt und weniger Bodenerosion verursacht. Außerdem erleichtert sie die Bewirtschaftung von Land mit einer Zwischenfrucht. Der Prototyp durchläuft derweil die letzten Entwicklungsphasen, seine Einführung ist für Dezember 2021 geplant.
Fundierte Entscheidungen
Das Team arbeitet des Weiteren an einem interaktiven Instrument, das Landwirtschaftsbetriebe bei der Auswahl diversifizierter Anbausysteme und nachhaltiger Praktiken unterstützt, indem es ermittelt, welche Optionen sich am besten unter den vor Ort gegebenen Bedingungen eignen. Zornoza Belmonte erläutert: „Wir haben uns vorgenommen, ein in Europa führendes Instrument für die Entscheidungsunterstützung zu erstellen, das, unter Beachtung unterschiedlicher Rahmenbedingungen, Hilfe bei der Auswahl der am besten geeigneten diversifizierten Anbausysteme bietet. Unser Ziel ist es, die Produktion zu steigern und mehr Nachhaltigkeit zu erreichen, wobei sämtliche Schritte der Wertschöpfungskette Berücksichtigung finden sollen. Die Nutzungsoberfläche des Instruments wird in vielen verschiedenen Sprachen verfügbar sein, was den Zugang erleichtert und eine intensive Nutzung überall in Europa ermöglicht.“ Es wird Daten zu zahlreichen Aspekten, von der Bodenbeschaffenheit bis hin zur Gestalt der Wertschöpfungskette, erfassen und auf dieser Grundlage Modelle erstellen, die es Agrarunternehmen ermöglichen, fundierte Entscheidungen zu treffen. Darüber hinaus wird Diverfarming u. a. Richtlinien für nachhaltige diversifizierte Anbausysteme, ein Protokoll für deren korrekte Umsetzung, ein entsprechendes Instrumentarium sowie ein Weißbuch, das politische Maßnahmen in diesem Bereich mit wissenschaftlichen Nachweisen unterstützt, bereitstellen. Um die Reichweite seiner Ergebnisse zu erhöhen hat sich Diverfarming dem European Crop Diversification Cluster angeschlossen. Diese Vereinigung widmet sich dem Austausch von Wissen zum Thema Diversifizierung von Kulturpflanzen und hat zum Ziel, die Wirkkraft der Forschung in diesem Bereich in ganz Europa zu erhöhen.
Schlüsselbegriffe
Diverfarming, Diversifizierung, Ressourcen, Anbausysteme, Boden, Agrarökologie, Fruchtbarkeit, Maschinen, biologische Vielfalt, Wertschöpfungsketten, Entscheidungsunterstützung, Instrument