Die genomische Heterogenität von Leukämie: Grundpfeiler einer gezielten Therapie
Akute lymphatische Leukämie (ALL) ist die Krebsart, die am häufigsten in der Kindheit auftritt. Sie befällt blutbildende Stammzellen, die durch mehrere genetische Mutationen zu bösartigen weißen Blutzellen entarten. ALL-Zellen sind genetisch nicht miteinander identisch und bei der Diagnose liegen üblicherweise zehn bis 20 relevante genetische Mutationen vor. Doch an der Frage, wie die eine Kombination von Mutationen zustande kommt, die normale Zellen in schnell wachsende leukämische Zellen verwandelt, wird noch immer geforscht.
Mutationen bei ALL
Im Projekt scTALLmap sollte vor allem die Heterogenität innerhalb eines Tumors untersucht werden, wenn also bei der Diagnose verschiedene genetische Klone der ALL nachgewiesen werden. Die Forschung wurde im Rahmen der Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen gefördert. Zum Einsatz kamen dabei Einzelzelltechnologien, mit denen man pro Experiment das Genom von über 8 000 einzelnen Zellen analysieren kann. „Zwar sehen alle Zellen eines Leukämiekranken unter dem Mikroskop gleich aus, aber wir haben herausgefunden, dass sie ganz und gar nicht gleich sind“, erklärt Jan Cools, Professor für Humangenetik an der Katholischen Universität Löwen (KU Leuven) und am Flämischen Institut für Biotechnologie (VIB), an dem das Projekt scTALLmap angesiedelt war. Typischerweise enthalten 1-10 % der ALL-Zellen andere Mutationen als der Rest des Krebses. Das zeigt, dass der Prozess der Leukämieentstehung nicht linear ist und die Zellen einfach immer mehr Mutationen ansammeln. Wahrscheinlich dauert dieser Vorgang einige Monate bis Jahre. Sobald die Zellen die richtige Mutationskombination erreicht haben, verwandeln sie sich in eine schnell wachsende Leukämie, die die normalen Zellen in Knochenmark, Blut und anderen blutbildenden Organen überwältigt.
Mutationsanalyse von ALL in Einzelzellauflösung
Das Team von scTALLmap hat das Genom einzelner Zellen untersucht und festgestellt, dass innerhalb ein und desselben Gens verschiedene Mutationen vorliegen. Daraus lässt sich schließen, das mehrere Zellen unabhängig voneinander eine Mutation in eben diesem Gen durchlaufen können. Dieses Gen wird damit umso wichtiger für die Entstehung einer Leukämie. Zellen sammeln aber auch oft mehrere Mutationen im selben Signalweg, weshalb eine einzige Mutation vermutlich nicht ausreicht, um den Pfad vollständig zu aktivieren. Dieser Zusammenhang unterstreicht auch nochmal die Rolle dieses Pfads bei der Entstehung von Leukämie. Im Projekt scTALLmap wurde vor allem der NOTCH1-Signalweg betrachtet, der für die normale Entwicklung von T-Zellen und ihre Entstehung aus Stammzellen erforderlich ist. Das Forschungsteam hat dreierlei herausgefunden: dass Erkrankte mehr als eine Mutation im NOTCH1 haben, dass verschiedene Zellen auch jeweils andere Mutationen im NOTCH1 haben können und dass diese Mutationen zu den allerletzten gehören, die sich in den Leukämiezellen ansammeln.
Warum die klonale Analyse von ALL so wichtig ist
Cools zufolge war „die wichtigste Leistung des Projekts die detaillierte Abbildung aller möglichen Mutationen in einzelnen Leukämiezellen.“ Mit diesen Informationen lässt sich der Beginn einer Leukämie bestimmen und die ursächlichen Mutationen können identifiziert werden. Außerdem entsteht so ein Überblick über die Evolution von Leukämie und über die zeitlichen Abläufe im Auftreten der Mutationen. Erst wenn die Heterogenität von Leukämie besser durchdrungen ist, lassen sich die Behandlungsoptionen weiter verbessern und gezielte Therapien entwickeln. Bei einer Chemotherapie werden alle schnell wachsenden Zellen abgetötet, was viele Nebenwirkungen mit sich bringt. Eine gezielte Therapie ist im Gegensatz dazu nur für Krebszellen giftig, die bestimmte Mutationen in sich tragen, und greift normale Zellen daher weniger an. Wenn Leukämie aber derart heterogen ist, kann die gezielte Therapie auch nur die Zellen mit einer spezifischen Mutation bekämpfen, während die anderen verschont bleiben. Tiefgreifende Erkenntnisse über die Heterogenität der Leukämie sind daher immens wichtig, um gezielte Therapie klug einsetzen zu können.
Schlüsselbegriffe
scTALLmap, Mutation, ALL, Heterogenität, gezielte Therapie, NOTCH1, akute lymphatische Leukämie