Quicklebendig auch ohne Sauerstoff
Können Tiere ohne Sauerstoff leben? Einer neuen Studie zufolge durchaus, denn Forscher haben nun den ersten vielzelligen Organismus entdeckt, der in einer 100-prozentig sauerstofffreien Umgebung überleben und sich vermehren kann. Die im Fachblatt BioMed Central (BMC) Biology veröffentlichten Ergebnisse sind Teil der EU-finanzierten Projekte HERMES und HERMIONE, die mit 15,56 bzw. 8 Mio. EUR durch das Sechste und Siebte Rahmenprogramm (RP6 und RP7) finanziert wurden. Die Tierchen leben tief unten auf dem Grund des Mittelmeers in einer Umgebung, in der es statt Sauerstoff nur toxische Schwefelverbindungen gibt. Den Forschern zufolge gehören die Vielzeller zur Gruppe der Korsetttierchen (Loricifera) und sind nicht nur quicklebendig, sondern besitzen auch einen aktiven Stoffwechsel und können sich vermehren. Das Forscherteam kam den Organismen über einen Zeitraum von 10 Jahren auf drei Forschungsexpeditionen ins Mittelmeer auf die Spur, als sie im Sediment des L'Atalante-Beckens ungefähr 200 Kilometer vor der Westküste der griechischen Insel Kreta nach lebenden Organismen suchten. Der unterirdische Salzsee liegt in etwa 3,5 Kilometern Tiefe und ist größtenteils vollständig anoxisch, d.h. quasi sauerstofffrei. "Bislang nahm man an, dass in solch extremen Umgebungen ausschließlich Viren, Bakterien und Archaeen (einzellige Mikroorganismen) überleben können", erklärt Erstautor Professor Roberto Danovaro, Direktor des Instituts für Meereswissenschaften an der Polytechnischen Universität Marche in Ancona, Italien. "Obwohl man bereits Überreste vielzelliger Organismen gefunden hatte, war man davon ausgegangen, dass diese aus oberen, sauerstoffreichen Wasserschichten herabgesunken waren. Bei den Tieren, die wir entdeckten, handelte es sich aber ganz offensichtlich um lebende Organismen. Einige trugen sogar Eier im Körper." Mittels elektronenmikroskopischer Untersuchungen wiesen die Forscher in den winzigen Lebewesen sogenannte Hydrogenosomen nach, d.h. Organellen, wie sie einzellige Organismen besitzen, die ebenfalls ohne Sauerstoff auskommen. Prof. Lisa Levin vom Scripps Institution of Oceanography, Vereinigte Staaten, kommentiert die Ergebnisse folgendermaßen: "Die von Danovaro et al. gemachte Entdeckung lässt uns auf weitere lebende Metazoen (Vielzeller) in anoxischen Umgebungen gespannt sein, z.B. auf dem Meeresgrund unter Hydrothermalquellen, in Subduktionszonen oder in anderen sauerstofflosen Meeresbecken." Dr. Marek Mentel von der Comenius-Universität, Slowakische Republik, und Dr. William Martin von der Universität Stuttgart, Deutschland, meinen hierzu: "Die Entdeckung vielzelligen Lebens in einer dauerhaft sauerstofflosen und schwefelhaltigen Umgebung vermittelt einen kleinen Einblick, wie die Ökologie der frühen Erde zu Zeiten des Canfield-Ozeans [ein schwefelhaltiges, zum Teil oxisches Meer, das zwischen Archaikum und Ediacara-Zeitalter auf der Erde existierte] ausgesehen haben könnte, bevor der Sauerstoffgehalt der Tiefsee anstieg und erste große Tiere auftauchten, deren Fossilien 550 bis 600 Millionen Jahre alt sind." Unter Koordination des Nationalen Zentrums für Ozeanografie in Southampton, Vereinigtes Königreich, befasste sich das Projekt HERMES (Hotspot ecosystem research on the margins of European seas) mit Prognosen der Veränderung der Artenvielfalt durch natürliche oder anthropogene Einflüsse auf die Umwelt und erstellte das erste umfassende, gesamteuropäische geografische Informationssystem über Randzonen. Das HERMES-Konsortium besteht aus 50 Partnern, darunter 9 kleine und mittlere Unternehmen (KMU) aus 17 Ländern wie Belgien, Deutschland, Griechenland, Italien, Norwegen, Rumänien, Russland und der Ukraine. HERMES lief von 2005 bis 2009. Das Nachfolgeprojekt HERMIONE (Hotspot ecosystem research and man's impact on European seas) erforscht die Funktionsweise von Tiefseeökosystemen und deren Beitrag zur Produktion von Gütern und Dienstleistungen. Koordiniert wird das 2009 gestartete und voraussichtlich 2012 endende Projekt HERMIONE vom Natural Environment Research Council (NERC), Vereinigtes Königreich. Am Projekt sind 38 Partner aus ganz Europa beteiligt.
Länder
Italien