Tumorverhalten könnte erklären, warum sich Tiere auf der Erde diversifiziert haben
Die rasante Entstehung eines breiten Spektrums an Tieren vor etwa 543 Millionen Jahren – als sich das Leben von einfachen, einzelligen Formen in komplexere Organismen entwickelte – fasziniert Wissenschaftler seit mehr als zweihundert Jahren. Im Kambrium, das laut Fossilienfunden den Anfang praktisch aller wichtigen Tiergruppen einschließlich der Vorläufer der Wirbeltiere markiert, entstand eine unglaubliche Vielfalt des Lebens. Dieses Ereignis wird als „kambrische Explosion“ bezeichnet, da es sich aus geologischer Sicht in einem kurzen Zeitraum vollzog, der nur wenige zehn Millionen Jahre umspannte. Vor diesem Evolutionsausbruch war das Leben auf der Erde etwa vier Milliarden Jahren lang von Mikroben bestimmt gewesen. Der Auslöser dieses biologischen Phänomens ist nicht völlig klar, auch wenn der Anstieg des atmosphärischen Sauerstoffs, der das Wachstum komplexerer Körperstrukturen gefördert haben soll, als eine Erklärung ins Spiel gebracht worden ist. Forscher der Universität Lund und der Süddänischen Universität haben diese Hypothese mit Unterstützung durch das EU-Projekt OXYGEN in Frage gestellt. Es wurde ein anderer Blickwinkel zur Erklärung der Entwicklung von Multizellularität eröffnet. Die Erkenntnisse des Teams wurden in der Fachzeitschrift „Nature Ecology & Evolution“ veröffentlicht. Unter Verwendung von Hinweisen aus dem Gebiet der Tumorbiologie widmeten sich die Forscher der alten Frage, warum sich die Tiere so spät und drastisch entwickelt haben. Es wurden Stammzellen untersucht, die sich durch ihre Selbsterneuerungsfähigkeit auszeichnen, und es wurde getestet, ob die gleichen biologischen Mechanismen, die von vielen Tumoren genutzt werden, um Stammzelleneigenschaften zu bewahren, auch für den Erfolg der Tiere in der kambrischen Explosion relevant gewesen sein könnten. Die Bedeutung des Sauerstoffniveaus Stammzellen, die die Fähigkeit haben, sich in verschiedene Typen von Körperzellen auszudifferenzieren, sind ebenso wie Krebsstammzellen, die für das Tumorwachstum verantwortlich sind, auf spezifische Sauerstoffniveaus angewiesen. Stammzellen haben vor allem eine Abneigung gegen zu viel Sauerstoff, „da sie hierdurch ihre Fähigkeit zur Zellerneuerung verlieren“, wie eines der an der Forschung beteiligten Teammitglieder in einem Artikel hervorhebt. Eine geringe Sauerstoffkonzentration oder Hypoxie wirkt sich auf das Tumorwachstum aus und, wie ein weiteres Mitglied des Forschungsteams meinte, „die Stammzellen haben daher verschiedene Systeme für den Umgang mit den Auswirkungen von Sauerstoff und Sauerstoffmangel, was im Falle von Tumoren offensichtlich ist.“ Die Forscher argumentierten, dass „diese Systeme ein Protein beinhalten, das Zellen ‚täuschen‘ kann, [damit] sie so handeln, als lägen hypoxische Bedingungen vor. Hierdurch können Zellen auch so getäuscht werden, dass sie sich stammzellenähnliche Eigenschaften aneignen.“ Indem erforscht wurde, wie Tumore auch in der Umgebung von hohen Sauerstoffkonzentrationen Stammzelleneigenschaften aufrechterhalten können, stützten die Forscher die Idee, dass multizelluläre Organismen eine Möglichkeit entwickelt haben, um mit hohen Sauerstoffkonzentrationen umzugehen. Laut einem der Forscher „konnten die Tiere erst nach der Entwicklung dieser Proteine vom Sauerstoff profitieren und mit der Diversifizierung beginnen.“ Das 2016 abgeschlossene Projekt OXYGEN (How oxygen regulates the structure and function of microbial ecosystems) war auf die Entwicklung und Nutzung hochsensibler Sauerstoffdetektionssysteme ausgerichtet, um zu erforschen, wie Sauerstoff den Metabolismus aerober und anaerober Organismen in Experimentalsystemen und in der Natur reguliert. Mithilfe dieser neuen Sauerstoffmesstechniken haben die Forscher ihr Verständnis von der Sauerstoffdynamik in Sauerstoff-Minimum-Zonen der Weltmeere erheblich vorangebracht und außerdem entdeckt, dass Mikroben in der Natur gut an extrem geringe Sauerstoffkonzentrationen angepasst sind. Weitere Informationen: OXYGEN
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