Fahrplan für zellbasierte interzeptive Medizin in Europa
Die zeitliche Entwicklung der Zellen einzelner Patientinnen und Patienten durch die Untersuchung ihrer Moleküle nachzuverfolgen, würde zu einem besseren Verständnis der zellulären Veränderungen führen, die eine Krankheit ausbrechen lassen. Diese vorausschauende Kenntnis bietet zwei Chancen: Die Auswahl der passenden Behandlung auf Grundlage der Wahrscheinlichkeit, dass die behandelte Person darauf anspricht, und die Verwendung multidimensionaler zellularer Informationen, um einen Ausbruch oder Rückfall früher zu erkennen. Bis vor Kurzem gab es die notwendigen Technologien noch nicht. Doch die EU-finanzierte Koordinierungs- und Unterstützungsmaßnahme LifeTime hat nun mehrere vielversprechende Technologieentwicklungen aufgezeigt, die in Kombination die Zellveränderungen im Laufe eine Krankheit aufdecken könnten. LifeTime hat eine Gemeinschaft aus mehr als 100 Forschungsinstitutionen aufgebaut, aus 22 Ländern und über 80 Unternehmen hinweg, vereint durch die Vision und den Plan, zellbasierte interzeptive Medizin in Europa einzuführen. Das Projekt erarbeitete einen umfassenden 10-Jahres-Plan für die notwendigen weitreichenden Forschungs- und Innovationsmaßnahmen. Diese gehen auf zentrale medizinische Herausforderungen ein, mit denen die Gesellschaft konfrontiert ist. Bei der Auswertung des Projekts durch von der Europäischen Kommission ernannte unabhängige Sachverständige wurde der Aufbau eines europäischen Netzwerks von Zellforschungszentren als vorderste Priorität hervorgehoben. „Dieses könnte der europäischen Gesellschaft und Wirtschaft zugutekommen und gleichzeitig die wissenschaftliche Führungsrolle des Kontinents in mehreren Forschungsbereichen stärken, so auch im Kampf gegen Krebs oder sogar bei der aktuellen COVID-19-Pandemie“, erklärt Nikolaus Rajewsky, Mitkoordinator des Projekts. Viele Unternehmen, welche die Initiative unterstützen und ganz verschiedene Branchen und Industrieunternehmen repräsentieren, haben an der Veranstaltung „LifeTime meets Industry“ in Basel Ende letzten Jahres teilgenommen. Der festgestellte Handlungsbedarf wurde mit der Parole zusammengefasst: „Make EU health research count!“ (dt. „Das Potenzial der EU-Gesundheitsforschung nutzen!“). Das Projekt erstellte auch einen Bericht zu den Auswirkungen, mit dem politische Entscheidungsträger öffentlich geförderte Forschungs- und Innovationsmaßnahmen ausbauen und gleichzeitig private Investitionen anregen können. Die Meinung von behandelten Personen, europäischen Bürgerinnen und Bürgern, Forschenden sowie medizinischen Fachkräften über LifeTime und seine Technologien wurde über eine Befragung der Interessengruppen aufgenommen und in die Implementierungspläne integriert. In der Fachzeitschrift „Nature“ ist bereits ein Artikel über die LifeTime-Initiative erschienen, und ein Kommentar darüber wurde im „EMBO Journal“ veröffentlicht.
Multi-Omik-Ansätze
LifeTime hat bestimmte Aspekte innovativer Technologien erkannt, die zur Integration in den Plan für zellbasierte Medizin weiter entwickelt werden könnten. Der Schwerpunkt des Plans liegt im Besonderen auf Multi-Omik-Ansätzen in Bezug auf einzelne Zellen. Dabei werden mehrere Technologien kombiniert, die gleichzeitig verschiedene molekulare Netzwerke innerhalb einzelner Zellen beschreiben können. Das bietet eine detaillierte und vielschichtige Beschreibung des Zellstatus und eröffnet somit einen beispiellosen Blick auf die mit Krankheiten verbundenen Veränderungen. „Die Durchführung dieser Analysen mit hunderttausenden Zellen von vielen Menschen wird die hochwertigen Datensätze bieten, die Künstliche Intelligenz benötigt, um mit Krankheitsausbrüchen verbundene Anzeichen zu erkennen. Für die Prognose von Behandlungsausgängen und den Aufbau von Prognosemodellen für Krankheiten ist dies von wesentlicher Bedeutung“, fügt Genevieve Almouzni hinzu. Diese Krankheitsmechanismen und -prognosen würden dann Test- und Validierungszyklen durchlaufen, und zwar unter Verwendung zellularer Modelle von Krankheiten, wie etwa Organoiden, die aus den Zellen einzelner behandelter Personen erstellt werden.
Ausrichtung an europäischen digitalen und gesundheitlichen Prioritäten
Die Vorschläge von LifeTime erfordern Investitionen in Künstliche Intelligenz und Hochleistungscomputer, zwei Standbeine der europäischen Digitalstrategie. Die empfohlene zentrale Datenstruktur für LifeTime wird eng mit den europäischen Forschungsinfrastrukturen, der europäischen Open Science Cloud sowie europäischen Datenprogrammen wie dem europäischen Genom-Phenom-Archiv und der europäischen Initiative „1+ Million Genomes“ verknüpft sein. „Derzeit gibt es Herausforderungen hinsichtlich des Zugriffs und Teilens medizinischer Daten über EU-Grenzen hinweg. LifeTime wird eine wichtige Rolle bei der Verknüpfung bisher getrennter biologischer und medizinischer Dateninfrastrukturen spielen. Dazu dienen gemeinsame Protokolle und Standards“, sagt Rajewsky.
Schlüsselbegriffe
LifeTime, Moleküle, Zellen, Multi-Omik, Krankheit, Behandlung