Mathematik wirft neues Licht auf die topologischen Phasen von Materie
Die Welt, wie wir sie jeden Tag erleben, könnte uns leicht glauben machen, dass Materie nur drei mögliche Phasen hat: fest, flüssig und gasförmig. In Wahrheit steckt jedoch mehr dahinter, als man denkt. Wie eine kürzlich erschienene Forschungsarbeit zu den topologischen Phasen von Materie, die mit dem Nobelpreis für Physik 2016 ausgezeichnet wurde, bewiesen hat, gibt es eine schwindelerregende Anzahl exotischer Materiephasen, die nur darauf warten, erforscht zu werden. Die erste Frage, die sich Forschern in der Regel stellt, wenn sie einen neuen Aggregatzustand entdeckt haben, ist, ob dieser basierend auf seinen Eigenschaften erfasst und katalogisiert werden kann. „Anders gesagt, ist es interessant und hilfreich, verschiedene topologische Phasen klassifizieren zu können. Es hilft dabei, zwischen unbekannten Systemen zu unterscheiden, und gibt uns eine bessere Vorstellung davon, was mit diesen Systemen möglich ist“, erklärt der mathematische Physiker Dr. Pieter Naaijkens, der für die Koordinierung des Projekts an der RWTH Aachen und der University of California in Davis verantwortlich war. Dieses Thema ist nicht nur für Mathematiker interessant, die die mathematische Grundlage der topologischen Ordnung hervorheben wollen, sondern auch für konkrete Anwendungen wie Quantencomputing. Denn es besteht die Hoffnung, dass neue topologische Phasen zur Verwirklichung skalierbarer Quantencomputer beitragen und sie vor Fehlern aufgrund unerwünschter Interaktionen mit der Umgebung schützen. Topologische Eigenschaften können beispielsweise für einen in sich stabilen Speicher genutzt werden, der es ermöglicht, einen Quantenzustand über einen längeren Zeitraum hinweg zu speichern, oder für Berechnungen mit Anyonen – einer Anregung des Systems, die sich wie ein (Quasi-)Teilchen verhält. Dafür benötigen die Forscher allerdings ein besseres mathematisches Verständnis darüber, welche Systeme grundsätzlich zu anyonischen Reaktionen führen können. Was sind die Eigenschaften von Anyonen? Entspricht ihre inhärente Stabilität den Erwartungen aufgrund ihrer topologischen Natur? „Eines unserer Hauptergebnisse zeigt, dass dies tatsächlich auf bestimmte Modelle zutrifft: Wenn wir das System schwachen Störungen aussetzen, ändern sich dadurch die Eigenschaften der Anyone nicht“, so Dr. Naaijkens. Auf einer grundlegenderen Ebene zielte das Projekt OATP darauf ab, die verschiedenen Arten möglicher topologischer Phasen und ihrer anyonischen Anregungen zu dokumentieren und zu ermitteln, welche von ihnen am besten für die Verwendung beim Quantencomputing geeignet sind. „Wir bieten einen genauen mathematischen Rahmen für die Erforschung topologischer Phasen, der eine systematische Ableitung der anyonischen Eigenschaften aus dem zugrunde liegenden Quantensystem zulässt. Dies macht es möglich, ein breites Spektrum leistungsfähiger mathematischer Techniken anzuwenden, die im Falle heuristischerer Argumente nicht immer verfügbar sind“, erläutert Dr. Naaijkens. Nach Angaben von Dr. Naaijkens ist das wichtigste fErgebnis des Projekts der erste umfassende mathematische Nachweis der Stabilität der Eigenschaften von Anyonen in abelschen Doppelquantenmodellen. Konkret konnte das Team zeigen, dass sich in diesen Modellen mögliche anyonische Anregungen und ihre Eigenschaften nicht ändern, wenn die Dynamik des zugrunde liegenden Systems gestört wird, d. h. solange die Störung nicht zu groß ist. „Auch wenn unser Beweis nur für eine begrenzte Klasse von Modellen gilt, zeigt er eindeutig eine Tendenz zur Verallgemeinerung – hin zu einer breiteren Klasse von Modellen“, sagt Dr. Naaijkens. Da das Projekt nun abgeschlossen ist, hofft Dr. Naaijkens, dass die Ergebnisse neue Wege für die Untersuchung topologischer Phasen eröffnen werden, insbesondere aus mathematischer Sicht. „Meiner Ansicht nach ist dies für ein tieferes Verständnis der zugrunde liegenden Mechanismen, die für die topologischen Eigenschaften solcher Systeme verantwortlich sind, von großer Bedeutung“, schließt er.
Schlüsselbegriffe
OATP, Mathematik, Quantencomputing, Quantencomputer, topologische Ordnung, Anyone