Abstieg unter die Erdoberfläche: ein integriertes System für die Wiederverwendung ausgehobenen Tunnelbaumaterials
Was passiert mit in Tunneln ausgehobenem Material? Im Zuge eines drei Jahren laufenden, im September 2015 abgeschlossenen EU-Projekts, wurde untersucht, wie wertvolle Mineralrohstoffe aus Tiefbauprojekten genutzt werden könnten, anstatt auf einer Deponie entsorgt zu werden. Hierfür wurde über DRAGON (Development of Resource-efficient and Advanced Underground Technologies) ein Prototypensystem entwickelt. „Zukünftige Tunnelbauprojekte in Europa sollen zu etwa 800 Millionen Tonnen ausgehobenen Materials führen“, erklärt Professor Robert Galler, Inhaber des Lehrstuhls für Subsurface Engineering an der Montanuniversität in Leoben, Österreich. „Das Recycling dieses Materials würde den Bedarf für primäre Mineralrohstoffe wesentlich senken und für geringere Umweltfolgen sorgen.“ Die Montanuniversität war ein Koordinierungspartner des Projekts, an dem sich auch industrielle und akademische Teilnehmer aus Deutschland, der Schweiz, Frankreich und dem Vereinigten Königreich beteiligten. Viele Partner sind an großen, fortwährenden Tiefbauprojekten beteiligt, in denen die Nutzung ausgehobenen Materials bereits realisiert worden ist. Eines dieser Projekte ist das Les-Farettes-Wasserkraftwerksprojekt in der Schweiz, bei dem ausgehobenes Gestein eine Arbeitsstätte für verwendbare Gesteinskörnungen schafft. ‘ Tiefbau-Analysen Die Herausforderung für das DRAGON-Konsortium bestand darin, eine Möglichkeit zu finden, um einen ökonomischen und effizienten Recycling-Prozess zu schaffen. „Das Ziel war es, Material, das in der Industrie genutzt werden kann, eindeutig von dem Material zu unterscheiden, das lediglich für die Schutthalde taugt“, sagt Prof. Galler. „Automatisierte Förderband-Beprobungen und Beschreibungen physikalischer, chemischer und mineralogischer Eigenschaften bilden die Grundlage für die Beurteilung des ausgehobenen Materials.“ Das DRAGON-Projekt löste diese Herausforderung über die Entwicklung eines Systems zur Materialbeschreibung, das direkt in die Tunnelbohrmaschine integriert ist. Der gesamte Prozess, von der Analyse bis zur Sortierung, findet unter der Erdoberfläche statt. Die fünf Prototypen-Einheiten des Projekts automatisieren jeweils einen anderen Verfahrensschritt. Die Prototypen machen von einer automatisierten Probenanalyse einschließlich einer Röntgen-Elementanalyse, einer hochpräzisen Mikrowellen-Feuchtemessung und einer photooptischen Korngrößenanalyse Gebrauch. „Das Equipment für die Element-Analyse muss durch ein spezielles Gehäuse geschützt werden. Eine Trennanlage unter der Erdoberfläche handhabt daraufhin das Material basierend auf den Testergebnissen und der Klassifizierung des Förderbandmaterials. Das ausgehobene Material kann einströmend sortiert und direkt vor Ort genutzt oder zu anderen industrielle Sektoren transportiert werden“, sagt Prof. Galler. Umwelt- und Wirtschaftsvorteile Das DRAGON-Konsortium demonstrierte zudem über eine Lebenszyklusanalyse Vorteile für die Umwelt. „Im Hinblick auf die meisten Indikatoren zeigen die Resultate im Allgemeinen eine verbesserte Umweltleistung, da der Anteil ausgehobenen Materials, das nicht auf Deponien landet, größer ist. Die Vorteile entstehen durch die Vermeidung von Auswirkungen im Zusammenhang mit Deponien und durch die Vermeidung der Primärproduktion“, erklärt Prof. Galler. Eine wichtige Bedingung für Maschinenhersteller und Bauunternehmen ist, dass die Tunnelbaugeschwindigkeit durch das neue DRAGON-Verfahren nicht negativ beeinflusst werden soll. Das Team ist zuversichtlich, dass diese Bedingung erfüllt werden kann, ob das Recycling wirtschaftlich sinnvoll ist, hängt allerdings ebenfalls vom Materialbedarf am Arbeitsstandort sowie von der Industrie im Umkreis ab. Das DRAGON-Konsortium berechnete, das ca. 80 % des ausgehobenen Materials potenziell wiederverwendet werden könnte und dass der Transport ausgehobenen Materials an externe Abnehmerindustrien in einem Radius von 150 km ökonomisch ist. Zukünftige Auswirkungen Das Team schlägt jetzt vor, dass die Materialmanagement-Strategien in den Planungsphasen aller Tunnelbauprojekte das ausgehobene Material berücksichtigen sollen, um zukünftig rohstoffeffiziente Null-Abfall-Projekte zu gestalten. Prof. Galler kommt zu dem Schluss: „Unsere neu entwickelten Technologien werden sich in strategischer Hinsicht auf ein nachhaltiges Management begrenzter Mineralrohstoffe auswirken und könnten die Abhängigkeit der EU von Importen senken, sodass die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen im Bereich von Tiefbau und neuen rohstoffeffizienten Technologien verbessert wird.“ Das DRAGON-Konsortium beabsichtigt jetzt, die Resultate als Vorbild für andere Unternehmen im Bereich der Bauindustrie sowie für eigene fortlaufende Projekte zu nutzen. „Falls die Ergebnisse von DRAGON auf diese Projekte anwendbar sind, könnte von nun an und in den kommenden Jahrzehnten potenziell eine immense Materialmenge genutzt werden“, stellt Prof. Galler fest.
Schlüsselbegriffe
DRAGON, Tiefbau, Recycling, ausgehobenes Material, Tunnelbau, automatisierte Analyse, Lebenszyklusbilanz, Abfall, Rohstoffeffizienz, Nachhaltigkeit