Die Zukunft des Essens durch die „virtuelle Zunge“
Die zentrale Rolle der Ernährung für Gesundheit und die Lebensqualität wird in Gesellschaften seit Jahrhunderten anerkannt. Doch trotz des vielen generationenübergreifenden Wissens über Ernährung sind die genauen Mechanismen, über die sich Lebensmittel positiv auf unser Wohlbefinden auswirken, noch ein Rätsel. Die Ernährungsgewohnheiten sind an traditionelle Weisheit angelehnt, doch die wissenschaftlichen Erklärungen für diese Phänomene fehlen noch.
Eine Computerplattform zum Geschmack von Lebensmitteln
Das Projekt VIRTUOUS wurde mit Unterstützung der Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen durchgeführt mit dem Ziel, das Wissen zur Beziehung zwischen der chemischen Zusammensetzung von Lebensmitteln und ihren organolgeptischen Eigenschaften grundlegend auszuweiten. Dabei lag ein besonderer Schwerpunkt auf dem Geschmack. Der Projektkoordinator Marco Agostino Deriu erklärt: „Unsere Auswahl von Lebensmitteln ist durch die Sinne geleitet, denn wir nehmen Lebensmittel über ihren Geschmack, das Aroma, die Konsistenz und das Aussehen einzigartig wahr.“ Über VIRTUOUS sollte eine Computerplattform eingerichtet werden, mit der der Geschmack von Lebensmitteln präzise vorhergesagt werden kann. Dabei stehen insbesondere Zutaten aus der mediterranen Ernährung im Mittelpunkt, die für ihre gesundheitlichen Vorteile bekannt sind. Das Projektteam kombinierte dafür fortschrittliche molekulare und zelluläre Modellierungsverfahren, künstliche Intelligenz, Datenschürfen und Bioinformatik. Mit diesem integrativen Ansatz analysierten die Forschenden gründlich, wie die chemischen Verbindungen in Lebensmitteln mit den menschlichen Geschmacksrezeptoren reagieren, um Erkenntnisse zum Mechanismus des Geschmacks zu erhalten. Das Herzstück der Plattform ist ein Ansatz, der auf Liganden und maschinellem Lernen beruht. So kann der Geschmack von Lebensmittelmolekülen anhand der chemischen Zusammensetzung und molekularen Eigenschaften vorhergesagt werden. Dadurch können wiederum bestimmte Instrumente erstellt werden, um verschiedene Geschmacksrichtungen vorherzusagen, darunter süß/bitter und umami. Mit der Integration von VirtuousPocketome wurden die Funktionen der Plattform erheblich erweitert. Mit diesem innovativen Instrument können Proteine entnommen werden, die den Geschmacksproteinrezeptoren ähnlich sind, um so mögliche sekundäre Ziele für Lebensmittelverbindungen zu bestimmen.
Mögliche Anwendungen
Die VIRTUOUS-Plattform bietet immenses Potenzial für zahlreiche Anwendungen. Das VIRTUOUS-Team stellt die wissenschaftlichen Erkenntnisse über eine intuitive Benutzerschnittstelle zur Verfügung, sodass verschiedene Zielgruppen – aus der Ernährungsberatung, Medizin, Lebensmittelerzeugung oder auch Verbrauchende – die organoleptischen Eigenschaften von Lebensmitteln und ihre möglichen gesundheitlichen Vorteile ganz einfach erkunden können. Die Plattform dient als wertvolles Mittel für Erzeugungsbetriebe, um das Geschmacksprofil der Produkte zu optimieren – zum Beispiel die Traubenauswahl für Weine oder die Produktionsverfahren für Öl. Außerdem kann es beim Aufbau ausgewogener und geschmackvoller Ernährungspläne hilfreich sein, die den Grundsätzen der mediterranen Ernährung und den jeweiligen Kundenvorlieben entsprechen. Mit der kürzlichen Integration der Software VirtuousPocketome wurde die Wirksamkeit der Plattform weiter gefestigt, indem alle möglichen Proteine aufgelistet wurden, die ein bestimmtes Lebensmittelmolekül aktivieren könnte. „Das bedeutet, dass die Geschmacksrezeptoren als Wächter dienen könnten, indem die verzehrten Lebensmittel kontrolliert werden und die Auswahl in Richtung vorteilhafter Lebensmittel geleitet wird“, betont Deriu.
Zukunftsaussichten
Insgesamt ist das VIRTUOUS-Projekt ein Paradigmenwechsel in der Lebensmittelwissenschaft, mit dem die Lücke zwischen Technologie und Ernährung geschlossen wird. Wenn die komplexe Geschmackswahrnehmung nachvollziehbar ist, dann können innovative Lösungen für die Nahrungsmittelerzeugung, personalisierte Ernährung und Initiativen zur Volksgesundheit entworfen werden. Wird die Plattform auf europäische Lebensmittelprodukte angewandt, kann der europäische Lebensmittelmarkt gestärkt und ausgeweitet werden. Gleichzeitig können Produkte auf Nischenmärkte individuell angepasst werden. Das VIRTUOUS-Team plant, die Plattform weiter zu verfeinern und die Funktionen auszuweiten, indem die Lebensmitteldatenbank vergrößert, Partnerschaften aufgebaut und neue Module integriert werden, um die sensorischen Aspekte beim Geschmack vorherzusagen.
Schlüsselbegriffe
VIRTUOUS, Geschmack, Computerplattform, Lebensmittelwissenschaft, organoleptisches Profil, Aroma, Umami