Die raffinierte Navigation der Ameisen besser verstehen
Bei einem genauen Blick auf Ameisen, ihre Fähigkeit, Gegenstände gemeinsam zu transportieren, die deutlich schwerer sind als sie selbst, oder die Fähigkeit einer einzelnen Ameise, den Weg durch den Wald bis zum Bau besser zu finden als GPS, kommt eine Frage auf. Wie werden in einem winzigen Gehirn all die Informationen verarbeitet, die für diese Aktionen notwendig sind? Bei einigen Arten verlassen einzelne Ameisen den Bau auf der Suche nach Nahrung allein. Sie nutzen keine chemischen Spuren, sondern verlassen sich ausschließlich auf Sicht und Lernen. „Ameisen können lange Sichtrouten entwickeln und sich merken, die sich durch die Komplexität ihrer natürlichen Umgebung winden und bei einigen Arten bis zu hundert Meter vom Bau wegführen. Sie verirren sich nie, und das mit einem Gehirn, das kleiner ist als ein Stecknadelkopf, und Augen mit sehr geringer Auflösung. Diese Navigationsfähigkeiten bei so spärlicher Hardware ist der Nachweis, dass wir von diesen Insekten noch viel lernen können“, erklärt Antoine Wystrach, der am Nationalen Zentrum für wissenschaftliche Forschung in Frankreich (CNRS) tätig ist. Um diese Fähigkeiten weiter zu erforschen, hat Wystrach mit Unterstützung des Europäischen Forschungsrats das Projekt EMERG-ANT ins Leben gerufen.
Ameisen in einer virtuellen Welt
Um die Reaktionen der Ameisen in Simulationen nachzubilden, hat das Team eine virtuelle Realität mit schwebenden Kugeln geschaffen, die in eine 360°-Anordnung von LED eingetaucht sind. „So konnten wir von den Bewegungen der Kugel ableiten, wie sich die Ameisen bewegen würden“, berichtet Wystrach. Die Bewegungen wurden dann in die visuelle Szene eingespeist, damit die Ameise den Eindruck hat, sich zu bewegen. So wurde die visuelle und motorische Erfahrung der Ameise bei der Navigation kontrolliert. „Diese Methode erlaubt unendlich viele mögliche Manipulationen. Die Reaktionen der Ameise können sehr aufschlussreich sein und genutzt werden, um unsere Gehirnmodelle zu testen. Dafür beobachten wir die Reaktion des simulierten Agenten auf die gleichen Manipulationen wie bei den echten Ameisen.“
Eine Robotersimulation zur Nachbildung des Ameisenverhaltens
Es ist eine interessante Zeit in der Insektenneurobiologie. Die Beschreibungen zu den Netzen im Insektenhirn werden immer präziser. Zu einigen Insektenarten liegen sogar vollständige Schaltpläne vor, darunter Taufliegen. „Aus diesen Diagrammen können die neuronalen Modelle abgeleitet werden, die wir auf die Ameisennavigation anwenden. Es bestehen also Einschränkungen durch die Schaltpläne und auch das Ameisenverhalten. Der Agent mit dem Modellgehirn sollte das tatsächliche Ameisenverhalten bei den Versuchsbedingungen reproduzieren“, ergänzt er. Damit diese Modellierung erfolgreich ist, nutzte das Team die am meisten ausgefeilte Version und setzte sie in einem kleinen Roboter ein, der eine Kamera mit geringer Auflösung hat. „Der Roboter war ein ausgezeichneter Navigator und konnte Routen über hunderte Meter sicher lernen und ihnen folgen. Er verfügte dabei über sehr wenig Rechenleistung und Speicherkapazität.“
Die Organisation und Speicherung von Information in Insektengehirnen
Das Team hat einige bahnbrechende Erkenntnisse zur Organisation und Speicherung von Informationen in Insektengehirnen gewonnen. Unter anderem, dass selbst erzeugte Schwingungen und Rückmeldungen auf die Bewegungen dabei entscheidend sind. Die größte Lektion ist aber vielleicht, wie viel es noch zu lernen gibt. „Wir kratzen kaum an der Oberfläche dieser Komplexität. Die Ameisen sind noch immer weitaus bessere Navigatoren als unsere Modelle – plastischer, anpassungsfähiger. Und all diese Intelligenz, die unser Verständnis übersteigt, liegt in so wenig Materie. Das ist eine Lektion in Respekt und Demut“, so Wystrach.
Schlüsselbegriffe
EMERG-ANT, Ameisen, Navigation, Robotersimulation, Insektengehirne, neuronale Modelle, Futtersuche