Nachhaltiger Tourismus und andere Formen der Mobilität: eine neue Sicht der Dinge
Nachhaltiger Tourismus folgt einem vielschichtigen Konzept, wobei Nachhaltigkeit nicht gleichbedeutend mit Umweltfreundlichkeit ist und nicht nur mit dem verantwortungsbewussten Verhalten der Besuchenden und ihrer Gastgebenden zu tun hat. Bei jeglicher Bewertung der Nachhaltigkeit muss berücksichtigt werden, ob die Lebensweise und die Lebensgrundlagen der die Reiseziele bewohnenden Menschen aufrechterhalten werden können. Genau das wurde im Rahmen des EU-finanzierten Projekts SMARTDEST getan. Es wurde analysiert, wie sich die Entwicklung von Städten als Zentren des Tourismus und anderer Formen der Mobilität wie des Lebens von im Ausland Arbeitenden und Ausgewanderten, Lifestyle-Nomadinnen und -Nomaden sowie Studierenden auf das Leben der ansässigen Gemeinschaften auswirkt.
Europaweite Trends, die den sozialen Zusammenhalt und die soziale Reproduktion in Städten gefährden
„Im Rahmen von SMARTDEST wurde dieses Phänomen anhand der Mitgestaltung von Lösungen mittels CityLab-Fallstudien in sechs EU-Städten und in Jerusalem, Israel, untersucht und angegangen. Das Projektteam hat fünf kritische Trends in ganz Europa erkannt“, erklärt Projektkoordinator Antonio Paolo Russo von der Universität Rovira i Virgili. Ein zunehmend auf kurzfristige Nutzung ausgerichteter Immobilienmarkt hat zu einem Mangel an erschwinglichem Wohnraum und zu einer unaufhaltsamen Erosion lokaler Strukturen geführt. Dadurch wird den dort Wohnenden der Zugang zu Dienstleistungen und Netzwerken erschwert, die den sozialen Zusammenhalt und die soziale Reproduktion gewährleisten. Eine übermäßige Abhängigkeit von der Tourismuswirtschaft und den Verbrauchsdienstleistungen führt zu verringerten Möglichkeiten für Hochqualifizierte, während gleichzeitig die Zahl der Stellen für schlecht bezahlte und prekäre Arbeit erheblich zunimmt. Außerdem werden die Rechte der Bürgerinnen und Bürger auf Gesundheit und Ruhe in einer zunehmend rund um die Uhr betriebsamen Umgebung immer weniger geschützt. Im Endeffekt vergrößert der Aufstieg der intelligenten Städte die soziale Kluft und verschafft den qualifiziertesten Menschen in der Stadt mehr Möglichkeiten. „Erschwerend kommt hinzu, dass die mobilen Kurzzeitbewohnenden in der Regel über mehr finanzielle Mittel und Einfluss verfügen als die schwächsten und weniger anpassungsfähigen Schichten der lokalen Bevölkerung. Somit gelangen sie bei den Verhandlungen über Raum, Dienstleistungen und Infrastruktur an Vorteile. Die Stadtpolitik begünstigt oder berücksichtigt diese Menschen häufig, anstatt sich um die Aufrechterhaltung des sozialen Zusammenhalts und die Umstrukturierung der Lenkung des Tourismus zu bemühen, um die Bedürfnisse der betroffenen Gemeinden in Betracht zu ziehen“, fügt Russo hinzu.
Zusammenarbeit bei der Thematisierung von Übertourismus und Schutzbedürftigkeit
Mit dem SMARTDEST Social Innovation Kit, einer internetbasierten Plattform, können die Nutzenden die in der EU und den Fallstudienstädten analysierten Trends darstellen, verschiedene voneinander abhängige Indikatoren kartieren, sich über die in den CityLabs durchgeführten Arbeiten informieren und mit den Forschenden Kontakt aufnehmen. Mithilfe zukünftiger Versionen werden weitere Städte und Interessengruppen ihre Daten hochladen können, um die Evidenzbasis zu erweitern sowie Trends und Herausforderungen mit denen der CityLabs zu vergleichen. Im Zuge von SMARTDEST wurden frei zugängliche Datenbanken auf EU- und Fallstudien-Ebene, Algorithmen, Fallstudienberichte, thematische Kurzdossiers und mehr als 20 hochwirksame Fachzeitschriftenartikel erstellt, von denen die meisten im Open-Access-Format vorliegen. Auf diese Weise werden Verantwortliche der Politik, die Bürgerinnen und Bürger und die Städte, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen, besser Trends bewerten und geeignete Entscheidungen treffen können.
Die Geschichte von den zwei Städten
„Das vielleicht herausragendste Ergebnis ist, dass es sich die im Tourismus Beschäftigten in zunehmendem Maße nicht mehr leisten können, in den Städten zu leben, zu deren globalem Erfolg sie beitragen. Sie sind zu einem Leben im Pendelverkehr verdammt, das Ausgrenzung bedeutet. Gleichzeitig sind einige Regierungen und Interessengruppen dieser Branche unerwarteterweise und ungeachtet der Faktenlage immer noch der Meinung, dass der Tourismus weiter wachsen und den lokalen Gemeinschaften zugutekommen kann. Zudem sind sie bereit, große Mengen an öffentlichen Geldern zu investieren, um dieses Wachstum zu unterstützen“, erklärt Russo. SMARTDEST hat eine Fülle von Daten und Beweisen zur Untermauerung des Gegennarrativs geliefert, die es schutzbedürftigen Gruppen und ihren Fürsprechenden ermöglicht, durch direkte Beteiligung oder den demokratischen Prozess proaktiv für Veränderungen einzutreten.
Schlüsselbegriffe
SMARTDEST, Städte, Tourismus, sozialer Zusammenhalt, Nachhaltigkeit, städtisch, erschwinglicher Wohnraum, Übertourismus, soziale Ausgrenzung, soziale Reproduktion