Natürliche Elektrizität könnte Knochenchirurgie revolutionieren
Auf Grundlage dieser Entdeckung könnte eine neue Generation von Transplantaten und Prothesen entwickelt werden, die auf Druck des Körpers reagieren und nach einer Operation die Knochenregeneration fördern. Möglich ist auch, dass durch diese Technik weniger Spenderknochen gebraucht werden und somit sowohl die Kosten als auch die medizinischen Risiken sinken.
Ein flexibles Material
„Unsere Knochen können sich hervorragend selbst umbauen“, erklären Marie-Skłodowska-Curie-Stipendiatin bei FLEXOBONEGRAFT, Nathalie Barroca und Projektkoordinator Gustau Catalán vom katalanischen Institut für Nanowissenschaften und Nanotechnologie (ICN2). „Brüche heilen aus und Stöße stärken den Knochen. Doch bei zu wenig Bewegung – oder in der Schwerelosigkeit wie im All – können Knochen poröser und schwächer werden.“ Auch mit dem Alter nimmt die beeindruckende Anpassungsfähigkeit des Knochens ab. Knochen werden nach Blut am häufigsten transplantiert. Allein in Europa werden pro Jahr über eine Million Eingriffe durchgeführt. Da die Bevölkerung insgesamt altert, wird es in Europa wahrscheinlich häufiger Knochenerkrankungen wie Osteoporose geben. „Bei den Erkrankungen des Bewegungsapparats gibt es hohen Bedarf an neuartigen Behandlungsoptionen und die Erforschung der Knochenreparatur floriert gerade“, ergänzt Catalán.
Biomedizinische Revolutionen
Cataláns Forschungsgruppe am ICN2 in Barcelona hatte bereits in früheren Arbeiten entdeckt, dass Knochenmineral flexo-elektrisch ist. Flexo-Elektrizität (was wörtlich „Biegeelektrizität“ bedeutet) beschreibt die Fähigkeit eines Werkstoffs, bei Verformung Elektrizität erzeugen zu können. Da unsere Knochen ständig mechanischem Druck ausgesetzt sind, ist das ein wichtiger Fakt. Anknüpfend an den Erfolg dieser ersten ERC-finanzierten Studie beschäftigte sich das Team aus der Biologin Raquel Nuñez, den Physikern Gustau Catalán und Fabian Vasquez und der Werkstoffwissenschaftlerin Nathalie Barroca im Rahmen des Projekts FLEXOBONEGRAFT mit einigen der physiologischen Auswirkungen der Flexo-Elektrizität auf den Knochenumbau. Das Team fand heraus, dass durch die Flexo-Elektrizität zuerst die Osteozyten an der Bruchstelle absterben und so den Reparaturprozess im Knochen einleiten. Dabei werden als nächstes die knochenbildenden Zellen (Osteoblasten) dazu angeregt, Knochenmineral abzugeben und den Osteocalcin-Spiegel (ein Calcium bindendes Protein) zu erhöhen. „Uns wurde klar, dass sich durch Flexo-Elektrizität neue Möglichkeiten für regenerative Knochenbehandlungen ergeben“, so Barroca, Empfängerin des Marie-Skłodowska-Curie-Stipendiums. „Im nächsten Schritt mussten wir medizinisch zugelassene biokompatible und abbaubare Polymere auswählen, die als knochenähnliche Materialien eingesetzt werden könnten, und dann ihre flexo-elektrischen Eigenschaften charakterisieren.“ Um der Knochenchemie noch näher zu kommen, mischte Barroca die Polymere mit Hydroxylapatit-Nanopartikeln, der Grundsubstanz des Knochenminerals. Einige Verbunde zeigten den gleichen flexo-elektrischen Koeffizienten wie Knochen, der ausreicht, um die Zellen zu stimulieren. Diese Entdeckung, deren Veröffentlichung in Vorbereitung ist, wird in der Biomedizintechnik dort zum Einsatz kommen können, wo auch immer Flexo-Elektrizität als Gestaltungsparameter gefordert ist. „Die gefundenen Werkstoffe wurden auch zum Aufbau von Strukturen genutzt, die auf körperähnlichen mechanischen Druck mit lokalen Mikrobiegungen reagieren (und dadurch Flexo-Elektrizität erzeugen)“, merkt Barroca an. „Möglich wurde das durch additiv gefertigte dreidimensionale Gerüste mit überlappenden Mikrosäulen und verschieden großen Hohlräumen. Die Wirkung solcher Mikrostrukturen von Materialverbunden auf echte Knochenzellen wollen wir noch näher untersuchen.“ Die Projektergebnisse kommen zu einem idealen Zeitpunkt, da gerade das Interesse an Biomaterialien für den Einsatz in der Medizin steigt. Polymere werden bereits in Knochenprothesen und als „Leitgerüste“ für die regenerative Aktivität der Knochenzellen genutzt. Die Gerüste zersetzen sich dann zu biokompatiblen Unterprodukten, die im Körper abgebaut werden können.
Schlüsselbegriffe
FLEXOBONEGRAFT, Knochen, Biomaterialien, Werkstoffe, Verbunde, Verbundwerkstoffe, Polymere, Flexo-Elektrizität, Osteoporose, Calcium