Die Rolle von Wirtsproteinen für die Artenschranken bei Virusinfektionen
Es wird angenommen, dass die meisten für Menschen gefährlichen Coronaviren (CoV) durch zoonotische Übertragung entstanden sind und sich dann an den menschlichen Wirt angepasst haben. Obgleich die meisten dieser Viren nur leichte Infektionen der oberen Atemwege verursachen, zeigten das Schwere Akute Atemwegssyndrom (SARS-CoV), das Middle East Respiratory Syndrome Coronavirus (MERS-CoV) und der jüngste Ausbruch des Coronavirus (SARS-CoV-2) in Wuhan, China, dass Coronaviren hoch pathogen sein können.
Ein genetisches Screening zur Identifizierung von Restriktionsfaktoren des Coronavirus
Mit Unterstützung der Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen erforschte das Projekt COV RESTRIC die Mechanismen, mithilfe denen Coronaviren Artenschranken überwinden können. „Wir hatten uns vorgenommen zu ermitteln, welche Mechanismen beim Wirt die Übertragung zwischen verschiedenen Arten verhindern, und bestimmte Faktoren zu identifizieren, die an dem Prozess beteiligt sind“, erklärt Volker Thiel, Projektkoordinator und Professor für Virologie an der Universität Bern. Sein Team arbeitete unter der Hypothese, dass Restriktionsfaktoren die virale Replikation bei verschiedenen Arten einschränken. Zoonotische Infektionen werden dann möglich, wenn Viren antivirale Restriktionsmechanismen umgehen und ihre Strategien an den neuen Wirt anpassen. Um Wirtsproteine zu ermitteln, die die Replikation des Coronavirus einschränken, kombinierten die Forscherinnen und Forscher modernste Technologien mit einem genetischen Screening von mehreren Hundert Interferon-stimulierten Genen. Diese Gene kodieren antivirale Effektoren, die als virale Restriktionsfaktoren fungieren könnten. Sie werden von Interferonantworten des Typs I stimuliert, die dafür bekannt sind, vor Krankheitserregern zu schützen. Das genetische Screening ergab, dass einige Gene die Replikation verschiedener CoV-Varianten in verschiedenen Wirtszellen einschränken können. Ein bestimmtes Wirtsprotein, das Lymphozyt Antigen 6 Complex Locus E (LY6E), erwies sich als sehr wirksam darin, das Coronavirus daran zu hindern, in die Wirtszellen einzudringen. Das Forschungsteam untersuchte die Erhaltung von LY6E, indem es orthologe Gene des Rhesusaffen, der Maus, der Fledermaus und des Kamels testete. Interessanterweise hemmten alle orthologen Varianten dieses Gens die Infektion mit dem menschlichen Coronavirus, was darauf hindeutet, dass diese Funktion von LY6E über die Artengrenzen hinweg erhalten bleibt. Außerdem validierte das Team die antivirale Aktivität von LY6E bei verschiedenen humanen und murinen Modellen der CoV-Infektion. Dabei beobachtete es, dass dieses Wirtsprotein über die Möglichkeit verfügt, Immunzellen vor verschiedenen Viren, darunter MERS-CoV und SARS-CoV, zu schützen. Tiere, die kein LY6E aufwiesen, zeigten sich anfällig für die CoV-Infektion. Davon waren Makrophagen und B-Zellen besonders betroffen.
Klinische Bedeutung der Ergebnisse von COV RESTRIC
Die Ergebnisse von COV RESTRIC deuten darauf hin, dass es bestimmte Wirtsproteine gibt, die Immunzellen spezifisch vor Virusinfektionen schützen. „Unsere Arbeit unterstreicht vor allem, wie wichtig es ist, die Immunzellen vor Virusinfektionen zu schützen“, betont Marie Skłodowska-Curie-Stipendiatin Stephanie Pfänder. Für die Zukunft hat sich das Projekt unter anderem vorgenommen, die Mechanismen zu klären, durch die LY6E einen breiten Schutz gegen Viren bietet. Vorläufige Daten weisen darauf hin, dass das Protein die Funktion hat, den Virus am Eindringen zu hindern, doch weitere Studien zur Erforschung der Aktivität von LY6E und dessen Wechselwirkung mit Immunzellen während einer Immunantwort sind nötig. Partner wollen außerdem andere Interferon-stimulierte Gene untersuchen, die die Replikation des Coronavirus einschränken. Die neu entdeckte hemmende Funktion des Interferon-stimulierten Gens LY6E gegen hochpathogene Coronaviren führt potenziell zu neuen Strategien zum Schutz von Immunzellen gegen Infektionen. Aufgrund der schweren Erkrankungen und der hohen Sterblichkeit durch die Infektion mit SARS-CoV und MERS-CoV sowie des jüngsten Ausbruchs eines neuen Coronavirus in Wuhan, China, im Jahr 2019 ist die Arbeit von COV RESTRIC für die klinische Praxis von Bedeutung. Für die Zukunft sieht Thiel die Chance „das Wissen über intrinsische Abwehrmechanismen von Wirten, die über die Artengrenzen hinweg erhalten bleiben, für die Entwicklung neuartiger Behandlungsmöglichkeiten gegen andere Viren zu nutzen.“
Schlüsselbegriffe
COV RESTRIC, Coronaviren (CoV), Interferon-stimulierte Gene, zoonotische Infektion, LY6E, SARS-CoV, MERS-CoV, SARS-CoV-2, Coronavirus