App unterstützt Bauarbeiter bei Stressbewältigung
Einer neuen Umfrage der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (OSHA) zufolge ist arbeitsbedingter Stress für etwa 50 % aller befragten europäischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein häufiges Problem. Dies benennt auch ein Bericht des Ausschusses für soziale Angelegenheiten, Gesundheit und nachhaltige Entwicklung des Europarates vom vergangenen Jahr. Wegen hoher Unfallquote (teilweise mit tödlichem Ausgang) und enormem Zeitdruck ist die Stressbelastung vor allem in der Baubranche hoch. Mit Unterstützung durch die EU konnte das Projekt INSTINCT im Rahmen der Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen diese Problematik nun näher untersuchen. Wie das Forscherteam feststellte, kann Stress in solchen Situationen mangels geeigneter Strategien kaum selbst bewältigt werden, da meist Umstände zugrunde liegen, die für den Arbeitnehmer nicht kontrollierbar sind, etwa Arbeiten auf engstem Raum oder langes Wegbleiben von Zuhause. Um einen möglichen Bewältigungsmechanismus anzubieten, entwickelte das Projekt die kostenlose „Stress-Blocker“-App Streblo, der wiederum Erkenntnisse aus der kognitiven Psychologie zugrunde liegen. Sie soll den Arbeitskräften dabei helfen, Stress zu erkennen und abzubauen.
Vom Fragebogen zur App
Zur Erhebung der Daten dokumentierte das Projektteam Arbeitsbedingungen auf Baustellen und sprach mit den Arbeitern direkt über ihre Erfahrungen mit Stress. Zudem wurden bei den Befragten in 611 Fragebögen, die online oder vor Ort beantwortet wurden, Daten zu Charaktereigenschaften, Stresslevel und üblichen Bewältigungsstrategien erhoben. Der statistischen Auswertung (einschließlich hierarchischer Regression und sequentieller Gleichungsmodelle) zufolge gaben etwa drei Viertel der Befragten entweder ein leichtes oder hohes Stresslevel an. „INSTINCT fußte dabei auf zwei psychologischen Prinzipien: der Unterschiedlichkeit unserer angeborenen Charaktereigenschaften und unseren dementsprechenden Reaktionen auf widrige Umstände“, erklärt Projektkoordinator Ezekiel Chinyio. „Aus der kognitiven Psychologie kennen wir die Big Five der Persönlichkeitsmerkmale: Extraversion, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, Neurotizismus und Aufgeschlossenheit. Daher reagieren manche Menschen eher mit Rückzug auf Stress, während anderen das Sprechen darüber hilft.“ Die Streblo-App soll Nutzern einerseits helfen, Stress im Vorfeld zu vermeiden, und andererseits Empfehlungen für bereits stressige Situationen geben. Die App stellt dem Benutzer zehn Fragen und beurteilt anhand der Antworten den Schweregrad des erlebten Stresses. Der Benutzer erhält dann entsprechende Empfehlungen zur Stressbewältigung, für die er sich nach Ampelfarben (Rot, Gelb, Grün) entscheiden kann. Zur Entspannung werden etwa Ruhe- und Atemübungen empfohlen oder leichte körperliche Aktivitäten.
Auf dem Weg zu maßgeschneiderter Unterstützung
Schätzungen zufolge belaufen sich die volkswirtschaftlichen Kosten für das Vereinigte Königreich durch arbeitsbedingten Stress auf 18 Mrd. EUR pro Jahr und stellen damit ein enormes Problem dar. Die Forschergruppe um INSTINCT hofft, mit den Studienergebnissen Institutionen wie das Health and Safety Executive (HSE) im Vereinigten Königreich oder die europäische OSHA bei evidenzbasierten politischen Empfehlungen zu unterstützen. Forschungsleiterin Silvia Riva arbeitet derzeit mit der Royal Society for Public Health im Vereinigten Königreich im Rahmen des Ersthilfe-Trainings für psychische Gesundheit zusammen. Dabei könnte die Streblo-App in Verbindung mit zugewiesenen Fachkräften für Ersthilfe dazu beitragen, Menschen in Notlagen zu helfen. Die erste Version der Streblo-App ist jetzt sowohl für iOS als auch Android frei verfügbar, und durch Beantragung weiterer Forschungsmittel soll die Funktionalität der App noch erweitert werden. „Wir wollen jetzt mit Methoden der künstlichen Intelligenz Charaktermerkmale besser auf die Bewältigungsoptionen abstimmen und damit Empfehlungen personalisieren“, sagt Chinyio. „Zudem erstellen wir Schulungsmaterial, um Stress am Arbeitsplatz durch Anpassungen wie etwa flexiblere Arbeitszeiten zu reduzieren, was möglicherweise auch mehr Frauen ansprechen wird.“
Schlüsselbegriffe
INSTINCT, Arbeit, Stress, Krankheit, Depression, Druck, Persönlichkeit, kognitive Psychologie, Extraversion, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, Neurotizismus, Aufgeschlossenheit