Junge Menschen sind Initiatoren für gesellschaftliche Veränderungen – wie können sie also am besten in die Gesellschaft integriert werden?
„Junge Menschen sind Initiatoren für gesellschaftliche Veränderungen. Angetrieben werden sie dabei zum Teil durch die schwierigen Umstände, die ihnen eine Weiterentwicklung innerhalb der Gesellschaft unmöglich machen: ein Mangel an Möglichkeiten, Mitteln und Respekt“, so beginnt die Koordinatorin des Projektes PROMISE (PROMoting youth Involvement and Social Engagement: Opportunities and challenges for ‘conflicted’ young people across Europe) Dr. Jo Deakin das Gespräch mit uns. „Das Ziel unserer Forschungen ist es festzustellen, wie junge Leute auf diese Herausforderungen reagieren. Dabei konzentrieren wir uns besonders auf junge Menschen, die mit Autoritäten in Konflikt geraten.“ Stigmata, Schubladendenken und Klischees: Eine giftige Mixtur Besonders hinter den Begriffen „Stigmata“ und „Schubladendenken“ stehen wesentliche Ursachen für die Abwendung junger Menschen von sozialem und politischem Engagement. „Damit sie sich wirklich einbringen können, muss jungen Leuten das Gefühl vermittelt werden, dass sie dazugehören“, erklärt Dr. Deakin. „Eine Erkenntnis, die wir bei unseren Forschungsarbeiten gewannen, ist, dass das Gefühl einer größeren Gemeinschaft von Menschen anzugehören, die die gleichen Werte teilt, ein entscheidender Faktor bei der Umwandlung eines solchen negativen Stigmas in positives Engagement darstellt. Wir haben von jungen Menschen gehört, die stigmatisiert, aber doch enorm motiviert waren, sich für ein Thema einzusetzen, das sie betrifft, sobald sie spürten, dass sie Teil einer größeren Gruppe sind.“ Aber was macht dieses Gefühl der Zugehörigkeit aus? Ältere Erwachsene, die ihre Ansichten teilen und ihnen Verantwortung übertragen, und Autoritätspersonen, die sie mit Respekt behandeln. Selbstverständlich spielen auch die sozioökonomischen Umstände, unter denen ein junger Mensch lebt, eine große Rolle. „Nicht bei allen, aber bei den meisten der jungen Leute, die von Autoritätspersonen, den Medien usw. in die Schublade ‚Problemfall‘ gesteckt wurden, handelt es sich um jene, die in ihrem Leben mit den ungünstigsten Umständen konfrontiert waren“, sagt Dr. Deakin. „Dazu kann Armut gehören, das Auseinanderbrechen der Familie, häusliche Gewalt, Trauerfälle, Probleme in der Schule sowie das Fehlen von beständigen, positiven Beziehungen und Vorbildern. Ein Teufelskreis der Isolierung von der Gesellschaft und Abschottung, der dann zu weiterem negativen Verhalten und Problemen führt, entsteht für diese jungen Leute ganz leicht, es ist aber sehr viel schwieriger, ihn wieder zu durchbrechen.“ Weitere große Herausforderungen Viele der verwaltungstechnischen Maßnahmen, denen junge Menschen begegnen, wie etwa im Zusammenhang mit den Rechts- und Wohlfahrtssystemen, verstärken eher die Stigmatisierung und die Konflikte, anstatt deeskalierend zu wirken. „Viele junge Leute fühlen sich wegen dieser Systeme ihren örtlichen Gemeinden nicht zugehörig, im Besonderen nehmen sie keine Verbindung zu denjenigen wahr, die an der Macht sind. Aber aus unseren Forschungsarbeiten lässt sich ableiten, dass es etwas gibt, mithilfe dessen sich eine überwältigende positive Kraft entwickeln lässt, um junge Menschen in das soziale und politische Leben zu integrieren: je mehr sie vertrauen können, desto mehr werden sie sich engagieren“, so Dr. Deakin. PROMISE stellte auch fest, dass Zugang zu guter, hochwertiger Bildung eine außerordentlich wichtige Rolle bei der Integration junger Leute spielt, wobei sowohl Schulen als auch den Eltern eine entscheidende Aufgabe zufällt. „Je niedriger sein Bildungsstand ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass ein junger Mensch sich nicht für soziale und politische Themen interessiert oder nicht in diesen Bereichen aktiv wird“, führt Dr. Deakin aus. Eine Studie, die zehn Länder umfasst PROMISE führte vergleichende ethnografische Studien bei jungen Menschen in zehn europäischen Ländern durch, dabei wurden die jungen Menschen aktiv einbezogen, und Dr. Deakin und ihr Team entdeckten, das hierbei kein Land einem anderen gleicht. „Aber es gab Ähnlichkeiten bei den Erfahrungen der jungen Leute. Kurz gesagt, junge Menschen in allen Ländern fühlten sich von Autoritäten nicht ernst genommen und dies senkte ihr Vertrauen und beeinträchtigte eine Beteiligung“ erklärt Dr. Deakin. Bei vielen spanischen Jugendlichen war Wohnraum ein zentrales Thema, schließlich platzte im Jahr 2008 Spaniens Immobilienblase. „Hier lernten wir die kreativen Ideen kennen, die es jungen Leuten in Spanien ermöglichten, die Regeln für Unterkunfts- und Wohnverhältnisse neu zu schreiben, um direkt an der Fürsorge für ihre eigene Zukunft beteiligt zu sein: sie boten an, Instandhaltungsarbeiten durchzuführen anstatt Miete zu zahlen, teilten sich Wohnungen und bauten sogar ihre eigenen Wohnstätten“, sagt Dr. Deakin. Unterdessen ergriffen mit staatlich gelenkter Diskriminierung konfrontierte LGBT-Jugendliche in Russland die Initiative zum Aufbau von Aktivistenvereinigungen sowie sozialer Jugendorganisationen. Und in Italien arbeiteten derweil benachteiligte junge Straßenkünstler an der Umwandlung ihrer Marginalisierung in ein positives Merkmal, eine Art „Kultur der Marginalisierung“, so die Worte von Dr. Deakin. Die Abschlussbotschaft an die politischen Entscheidungsträger? PROMISE endet im April 2019 und für Dr. Deakin und ihr Team bleibt noch so einiges zu tun, denn sie haben sich vorgenommen, Leitfäden für Lehrer und Jugendarbeiter auszuarbeiten sowie der Politik in jedem Partnerland von PROMISE Anregungen zukommen zu lassen. Aber wie würde ihre Abschlussbotschaft an die politischen Entscheidungsträger lauten? „Sie sollten sich auf vier Kernthemen konzentrieren: Die vielgestaltigen Lebenswege junger Menschen anerkennen, die Akzeptanz und die Förderung von Jugendinitiativen erhöhen und ausweiten, wirksame Strukturen zur Unterstützung immer weiter entwickeln und sichere (urbane) Räume für junge Menschen schaffen.“
Schlüsselbegriffe
PROMISE, Jugend, junge Menschen, Autoritäten, Stigma, Engagement, Bildung