Bedeutet mehr künstliche Intelligenz auch weniger Arbeit?
Der technologische Fortschritt verändert die Art der Arbeit, wie wir sie kennen. Berufsbereiche wie Kassieren und Taxifahren werden in den nächsten Jahrzehnten für die Menschen wegfallen und Platz für neue schaffen. Doch wie sieht die Zukunft der unbezahlten Hausarbeit aus – und der Zeit, die wir dafür aufwenden? Um diese Frage zu beantworten, haben Forschende mit Unterstützung der EU-finanzierten Projekte FAMSIZEMATTERS und GenTime 65 Fachleute aus dem Bereich künstliche Intelligenz aus Japan und dem Vereinigten Königreich darum gebeten, einzuschätzen, wie einfach sich Hausarbeit und Aufgaben der Kinder- und Altenpflege automatisieren lassen. Ihre Ergebnisse wurden in der frei zugänglichen Fachzeitschrift „PLOS ONE“ veröffentlicht. Die Expertinnen und Experten sagten voraus, dass 39 % der Zeit, die wir derzeit für häusliche Aufgaben aufwenden, innerhalb der nächsten 10 Jahre automatisiert werden könnten. „Die Schätzungen variierten erheblich von Aufgabe zu Aufgabe“, schreibt die Autorengruppe. „Die am besten abschneidende Aufgabe war der Lebensmitteleinkauf, von dem 59 Prozent als innerhalb von zehn Jahren automatisierbar angesehen wurden; die am wenigsten automatisierbare Aufgabe war die physische Kinderbetreuung mit 21 Prozent. Im Allgemeinen wurde vorausgesagt, dass Pflegearbeit schwieriger auf Automatisierung umzustellen sei, mit einer durchschnittlichen Schätzung von 28 Prozent in zehn Jahren, während Hausarbeit mit 44 Prozent eine bessere Automatisierungsprognose erhielt.“ Interessanterweise waren die von einem Großteil der Expertengruppe angeführten Gründe, warum Pflegearbeit schwieriger zu automatisieren sei, nicht technischer Natur. Stattdessen wurde darüber gesprochen, wie gesellschaftlich tragbar es wohl sein mag, die Kinderbetreuung an Maschinen zu delegieren, wie sich dies auf die Entwicklung des Kindes auswirkt und welche Folgen es für die Privatsphäre hat. Es wurde auch darauf hingewiesen, dass die Haushaltsbudgets bestimmen, welche Art von Technologien entwickelt und vermarktet werden, da die meisten manuellen Tätigkeiten automatisiert werden können. Der „eigentliche Engpass“ ist gemäß einer Expertenmeinung den „Kosten dieser Automatisierung" geschuldet.
Verschiedene Länder, verschiedene Ansichten
Obwohl sich die britischen und japanischen KI-Fachleute im Großen und Ganzen darüber einig waren, welche Aufgaben mehr oder weniger wahrscheinlich automatisiert werden sollten, gab es auch abweichende Ansichten, die bis zu einem gewissen Grad mit dem jeweiligen Hintergrund zusammenhingen. Japan und das Vereinigte Königreich mögen heute Industrieländer mit vergleichbarem Fortschritt zu sein, doch im Hinblick auf ihre technologische und wirtschaftliche Geschichte unterscheiden sie sich bedeutend. Ein höherer Prozentsatz der Expertenschaft aus dem Vereinigten Königreich (42 %) glaubt, dass die Automatisierung in 10 Jahren mehr Haushaltsarbeit ersetzen könnte. Dahingegen teilten nur 36 % aus der japanischen Expertengruppe diese Meinung. Nach Ansicht der Autorinnen und Autoren könnte dies daran liegen, dass „im Vereinigten Königreich die Technologie eher mit dem Ersatz von Arbeitskräften in Verbindung gebracht wird“. Diese Divergenz zwischen den Ländern zeigte sich auch bei den Prognosen männlicher und weiblicher Fachleute. Während sie sich in der Gesamtstichprobe nicht wesentlich voneinander unterschieden, ergab sich bei näherer Betrachtung der einzelnen Länder ein anderes Bild. „Was das technologische Potenzial betrifft, waren im Vereinigten Königreich die männlichen Experten deutlich mehr überzeugt als die weiblichen Expertinnen, was sich mit der Feststellung deckt, dass Männer gegenüber Technologie generell optimistischer eingestellt sind. In Japan war die Situation jedoch umgekehrt: Männliche Fachleute zeigten sich weniger optimistisch als weibliche.“ Die Autorinnen und Autoren führen die starken geschlechtsspezifischen Unterschiede in Japan als möglichen Grund dafür an. Japanische Berufstätige haben nämlich in der Regel so gut wie keine persönlichen Erfahrungen mit häuslichen Aufgaben, da diese normalerweise ihren Frauen überlassen werden. FAMSIZEMATTERS (Family size matters: How low fertility affects the (re)production of social inequalities) und GenTime (Temporal structures of gender inequalities in Asian and Western welfare regimes) werden beide von der Universität Oxford ausgerichtet. Die mit Unterstützung der beiden Projekte erstellten Vorhersagen antizipieren nicht nur die Zukunft der unbezahlten Arbeit – sie können auch eine Rolle bei ihrer Gestaltung spielen. Weitere Informationen: FAMSIZEMATTERS-Projektwebseite GenTime-Projektwebsite
Schlüsselbegriffe
FAMSIZEMATTERS, GenTime, Hausarbeit, unbezahlte Hausarbeit, Kinderbetreuung, Altenpflege, Automatisierung, Arbeit