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Inhalt archiviert am 2024-06-18

How citizens try to influence politics and why. International comparisons of movement and party politics

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Politik, die Kunst des Möglichen – aber wer entscheidet sich für Parteipolitik und wer für Protest? Und warum?

Es scheint tatsächlich so, dass die traditionelle Parteipolitik von einer wütenderen, direkteren Art von Protestpolitik an den Rand gedrängt worden ist, vor allem in Folge der jahrelangen Sparvorgaben nach der Finanzkrise 2008-2009. POLPART (How citizens try to influence politics and why. International comparisons of movement and party politics), ein vom Europäischen Forschungsrat (ERC) finanziertes Projekt, hat sich der Frage angenommen, wie und warum Menschen sich politisch engagieren und was das für die aktuellen Bemühungen heißt, unsere Demokratien für die Zukunft zu stärken und zu erhalten.

In POLPART wurden Trends und Veränderungen bei der politischen Teilhabe von Bürgerinnen und Bürgern in Europa und Lateinamerika verfolgt. Eine der Ausgangsfragen war, warum sich einige durch den formalen politischen Prozess politisch beteiligen und warum andere lieber in der Protestpolitik aktiv werden. Die besten Antworten darauf waren in Gesprächen mit den Bürgerinnen und Bürgern selbst zu finden. Forscher von POLPART führten also mehrere Gruppeninterviews durch und konzentrierten sich dabei auf vier Demokratien, die sie als „vollständige Demokratien“ einordneten (Deutschland, die Niederlande, Schweiz und das Vereinigte Königreich), und vier, die sie als „unvollständige Demokratien“ bezeichneten (Argentinien, Brasilien, Rumänien und Ungarn) sowie Griechenland. Die Bürger sind wütend Zu Beginn jedes Gruppeninterviews fragte das POLPART-Team die Teilnehmer, was ihnen als Erstes einfällt, wenn sie an Politik denken. „Die Reaktionen waren erstaunlich negativ und zynisch, zeugten von geringem Vertrauen in politische Institutionen, besonders in unseren Fallstudien in ‚unvollständigen‘ Demokratien“, so Prof. Klandermans, der für die Leitung des Projekts ein ERC-Stipendium erhalten hat. „Sogar bei positiven Einschätzungen handelte es sich eher um Anspruchshaltungen und Wunschdenken. Wir haben viele sehr unterschiedliche Reaktionen bekommen, aber sie waren alle hauptsächlich gefühlsgesteuert. Obwohl die Einschätzungen später in den Gruppendiskussionen etwas nuancierter wurden, blieb das Grundgefühl trotzdem immer negativ.“ Das ist kaum überraschend. Europa kämpft noch immer mit den Nachwirkungen der Wirtschaftskrise, Immigration ist seit der Flüchtlingskrise 2015 zum polarisierendsten Thema überhaupt geworden und populistische Parteien des linken wie rechten Spektrums gewinnen auf dem gesamten Kontinent an Rückhalt, von Spanien bis Schweden, von Italien bis Deutschland. Argentinien und Brasilien leiden aktuell an einer Rezession und die gesellschaftliche Ungleichheit hat wieder zugenommen. Der wachsende Unmut über traditionelle Parteipolitik in diesen Ländern zeigte sich am deutlichsten im Oktober 2018 in der Wahl von Jair Bolsonaro zum Staatspräsidenten Brasiliens sowie in häufigen Straßenprotesten (Cacerolazo) in Buenos Aires, die sich gegen die Wirtschaftskrise und Sparmaßnahmen richten. Wahlen sind noch immer das beste Mittel Doch das Projekt konnte auch ein paar gute Nachrichten herausfiltern. „Die größte politische Einzelaktivität, die wir protokolliert haben, ist immer noch das Wählen, gefolgt vom Unterzeichnen von Petitionen und Abstimmungen bei Referenden“, erklärt Prof. Klandermans. „Wir können also mit Fug und Recht behaupten, dass ein Großteil der Bürgerinnen und Bürger sich immer noch aktiv am politischen Prozess beteiligt und ihn als solchen akzeptiert, egal wie viel Wut und Misstrauen gerade gegenüber der Politik insgesamt herrschen.“ Aber was bringt Menschen überhaupt dazu, sich politisch zu beteiligen? Die Bürger sind umso mehr bereit, am politischen Leben teilzunehmen, je mehr sie sich benachteiligt fühlen, ausgenommen in Fällen von Armut. „Das war bei ‚vollständigen‘ und ‚unvollständigen‘ Demokratien ähnlich“, erklärt Prof. Klandermans. „Eine wichtige Erkenntnis dabei ist: durch Wut sind Menschen eher bereit, sich an Bewegungen oder Protestpolitik zu beteiligen als an Parteipolitik, egal bei welchem Thema und egal ob durch das Unterzeichnen einer Petition oder Teilnahme an einer Demonstration.“ Je mehr die Menschen spüren, dass sie mit ihrer Beteiligung an einer bestimmten Aktivität etwas verändern können, umso mehr sind sie bereit, bei dieser Aktivität mitzumachen. „Der stärkste Faktor, der politische Beteiligung auslösen kann, ist das Gefühl, politisch Einfluss nehmen zu können (External Political Efficacy). Interessanterweise war für diejenigen, die sich dafür entschieden haben, Politiker direkt zu kontaktieren, diese Strategie am Ende überdurchschnittlich effektiv“, so Prof. Klandermans. „Die Verbindung zwischen Aufwand und Wirkung ist bei diesem direkten Kontakt mit den gewählten Volksvertretern offensichtlich am stärksten.“ Wählen oder protestieren? Das ist hier die Frage Je wütender die Menschen sind, mit umso höherer Wahrscheinlichkeit werden sie sich entweder für Partei- oder Protestpolitik entscheiden, wie sich in POLPART gezeigt hat. „Zynischere Menschen werden eher wählen gehen oder eine offizielle Petition unterzeichnen, aber je politisch kompetenter sich ein Mensch fühlt (Internal Political Efficacy), umso wahrscheinlicher wird er eine Form der Protestpolitik wählen“, erklärt Prof. Klandermans. POLPART konnte außerdem zeigen, dass bei einer früheren aktiven Mitarbeit in einer Partei auch eine aktuelle Parteimitarbeit wahrscheinlicher ist. Wer bereits in politischen Bewegungen aktiv war, wird sich mit höherer Wahrscheinlichkeit auch zukünftig in Bewegungen einbringen. „Interessant ist dabei aber, dass bürgerliches Engagement sich nicht systematisch in politisches Engagement umsetzt“, sagt Prof. Klandermans. „Bürgerschaftliche Beteiligung steht unseren Ergebnissen zufolge nicht im Zusammenhang mit politischem Engagement oder ist sogar negativ damit korreliert.“ Prof. Klandermans und sein Team arbeiten an weiteren Veröffentlichungen aus POLPART und werden 2020 ihre Daten vollständig der gesamten wissenschaftlichen Community zur Verfügung stellen.

Schlüsselbegriffe

POLPART, politische Beteiligung, wählen, Wahlen, Protestpolitik, Bürger, Bürgerschaft

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