Geschichtsunterricht für die Widerstandsfähigkeit von morgen
Das Projekt COORDINATINGforLIFE („Coordinating for life. Success and failure of Western European societies in coping with rural hazards and disasters, 1300-1800“) hat herausgefunden, dass zwar wachsende Ungleichheit per se noch nicht zu höherer Anfälligkeit führt, die Anwesenheit von Vermittlergruppen aber oft essenziell ist. Dorfgemeinschaften, Organisationen für Wasserbewirtschaftung und wohltätige Verbände waren zum Beispiel in der Geschichte äußerst wichtig, um Gesellschaften vor Katastrophen zu schützen oder danach den Wiederaufbau zu leiten. Doch mit dem Niedergang dieser Vermittlergruppen ist auch ihr Erfolg verschwunden. Das Projekt hat außerdem zeigen können, dass Gesellschaften anfälliger werden, wenn ein Anstieg der materiellen Ungleichheit sich nicht in institutionellen Änderungen widerspiegelt. Eine weitere zentrale Erkenntnis war, dass zwar einige Gruppen äußerst anfällig für Gefahren waren, es aber immer andere gab, die dem „Sturm“ entkommen konnten. „Es werden also nicht gesamte Gesellschaften von Katastrophen heimgesucht, sondern ganz spezielle Gruppen in der Gesellschaft“, erklärt Professor Bas van Bavel von der niederländischen Universität Utrecht, der das Projekt COORDINATINGforLIFE leitet. „Wir glauben, dieser Ansatz könnte ein wichtiges Gegenmittel gegen die bisher zu starke Konzentration auf systembedingte Anfälligkeit sein.“ Gesellschaften mit langer Lebensdauer COORDINATINGforLIFE hat 2014 begonnen und soll 2019 abgeschlossen sein. Es untersucht hauptsächlich Westeuropa im Zeitraum von 1300 bis 1800 und nutzt für diesen Zeitraum Vergleichsanalysen, um zu bestimmen, was Widerstandsfähigkeit ausmacht. In den nächsten Jahrzehnten werden Gesellschaften auf der ganzen Welt vor allem in Folge des Klimawandels häufiger mit Katastrophen konfrontiert werden. „Darum ist es so extrem wichtig, dass wir genauer verstehen, warum manche Gesellschaften anscheinend Gefahren im Keim ersticken können, damit sie gar nicht erst zu Katastrophen werden, oder mit Katastrophen umgehen können und sich danach schnell erholen“, so Professor van Bavel. „Außerdem verbreitet sich immer mehr die einhellige Meinung, dass es nicht reichen wird, wenn wir uns nur auf technologische Lösungen und materielle Ressourcen verlassen.“ Professor van Bavel betont, dass auch wohlhabende und technologisch fortschrittliche Länder nicht vor Katastrophen gefeit sind, wie das Reaktorunglück im japanischen Fukushima nur zu deutlich gezeigt hat. Darum werden jetzt verstärkt Antworten in den organisatorischen Gegebenheiten einer Gesellschaft gesucht. „Wir wissen aber nur sehr wenig darüber, was genau diese Organisationen ausmacht und warum sie manchmal den Wiederaufbau erleichtern und manchmal nicht“, sagt van Bavel. Die Geschichte als Labor Das Projekt ging nun davon aus, dass Geschichte ein lebendiges „Labor“ ist, dessen historische Aufzeichnungen zum Test von Hypothesen analysiert werden können. Der lange historische Untersuchungszeitraum des Projekts erlaubte es dem Team, äußerst unterschiedliche Fälle miteinander zu vergleichen und Erkenntnisse über den relativen Erfolg dieser Gesellschaften zu gewinnen. „Das Projekt hat noch ein weiteres interessantes Element, es verbindet nämlich Geschichte und geschichtswissenschaftliche Methoden mit Erkenntnissen und Expertise aus der Wirtschaftswissenschaft, Geografie und Klimatologie“, so Professor van Bavel weiter. „Unsere Arbeit ist für Wissenschaftler relevant, die in den Naturwissenschaften forschen, einschließlich Klimawandel und Epidemiologie. Wir wollten hauptsächlich deren Verständnis für bestehende Risiken durch eine zusätzliche historische Perspektive erweitern.“ Das Projektteam arbeitet gerade an einem Lehrbuch mit dem Originaltitel „History and Disasters“, das sich an ein breites Publikum richtet, seien es Forscher aller Fachbereiche, Studenten oder Fachleute aus der Praxis. Außerdem stellt das Team Verbindungen zwischen Geschichtsforschung und aktueller Politik her, und zwar nicht nur durch die Veröffentlichung von Ergebnissen, sondern auch durch direkten Kontakt. „Teilnehmer unseres Projekts sind in Netzwerken zur aktuellen Forschung und Politik im Zusammenhang mit dem Klimawandel aktiv und schreiben Beiträge für Briefings von Wissenschaftlern, NRO und staatlichen Stellen“, sagt Professor van Bavel. „Es gab Bemühungen, die Erkenntnisse aus der Geschichte in aktuelle Hochwasserschutzpläne einzubauen, die auch schon zu einer aktiven Kooperation geführt haben, nämlich dem belgisch-niederländischen „Estuary Restoration Project“ (Wiederherstellung der Mündung am Hedwige-Prosperpolder), sowie zu mehreren gezielten Präsentationen. Langfristig könnte so ein Projekt zum Technologietransfer entstehen – vorläufig unter dem Namen ‚Bauen mit Natur und Geschichte‘.“
Schlüsselbegriffe
COORDINATINGforLIFE, Klimawandel, Geschichte, Epidemiologie, Gesellschaft, Gesellschaften, Gemeinschaft, Dorf, Katastrophe, Fukushima, Widerstandsfähigkeit