EU-Studie empfiehlt „richtigen Politikmix“ für das zukünftige ETS
Nach Abschluss von COP21 ist es an der Zeit, über die besten Möglichkeiten nachzudenken, wie wir bis zum Jahr 2050 Klimaneutralität herstellen können, denn darauf haben sich die 195 Parteien der Konferenz verpflichtet. In Europa liegt der Schlüssel für diese Überlegungen in der künftigen Entwicklung des EU-ETS, wobei die Erfahrungen, die man seit dem Start des Systems Jahr 2005 gemacht hat, berücksichtigt werden müssen. "Wir mussten voraussetzen, dass das EU-ETS sein Kernziel erreicht hat: die Verringerung der Emissionen der erfassten Anlagen", sagt Dr. Olivier Schenker vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Deutschland und Koordinator des EU-geförderten Projekts ENTRACTE (Economic iNsTRuments to Achieve Climate Targets in Europe). "Die Wirtschaftskrise hat zu einer sinkenden Nachfrage und damit zu weniger Emissionen geführt. Also es ist nicht ganz so einfach, die Höhe der Emissionsminderungen, die das EU-ETS erwirkt hat, zu identifizieren." ENTRACTE wollte diese Wissenslücke füllen und zum Beispiel zeigen, dass geregelte Fabriken in Frankreich ihre Emissionen im Vergleich zu Nicht-ETS-Anlagen zwischen 2005 und 2012 um durchschnittlich 15,7% reduziert haben. Zwar lässt sich dies als Beweis für den Erfolg des Systems interpretieren, aber das Projektteam bleibt lieber vorsichtig. Es weist auf die möglicherweise großen Auswirkungen von Kohlenstoff-Leckagen hin und konzentrierte sich auf Aspekte des ETS, bei denen es noch erheblichen Raum für Verbesserungen gibt. Ein zu nachsichtiges System Das ETS hat einige Schwachstellen. Eines der Themen, mit denen sich ENTRATE befasste, war der Überschuss an Emissionszertifikaten: Dieser Überschuss, der sich seit 2009 aufgrund der Wirtschaftskrise und ihrer Auswirkungen auf die industriellen Aktivitäten aufgebaut hat, lähmt das EU-ETS noch heute, wobei es insgesamt mehr als 2 Milliarden Zertifikate zu viel gibt. "Der Hauptgrund, warum das EU-ETS bisher noch nicht sein volles Potenzial ausgeschöpft und seine beabsichtigte Rolle als Flaggschiff der EU-Klimapolitik erfüllt hat, ist eine Deckelung, die sich als zu nachsichtig herausgestellt hat – und ein mangelnder politischer Wille, diesen wesentlichen Fehler zu korrigieren", sagt Dr. Schenker. Während sich das Kohlenstoffpreissystem bewährt hat, unterstreicht er, kann nur eine Knappheit auf dem Markt für Zertifikate seine Wirksamkeit sicherstellen, was aber ein starkes politisches Engagement erfordert. In ähnlicher Weise kann eine Kohlendioxidsteuer nur so effektiv sein, wie es ihre Höhe erlaubt: "Die Werkzeuge für das Kohlenstoff-Pricing, die derzeit in der EU umgesetzt werden, haben es nicht geschafft, ihr volles Potenzial auszuschöpfen. Zwar lässt sich ihre Gestaltung noch verbessern, der Hauptgrund für das schlechte Abschneiden ist aber der Mangel an politischem Willen." Die Marktstabilitätsreserve (MSR), mit der die jährliche Verfügbarkeit von Zertifikaten flexibel gehalten werden soll, indem die EU die zu versteigernde Ausgabemenge anpassen kann, sieht Dr. Schenker positiv, obwohl er nicht glaubt, dass sie ausreicht, um das Problem zu lösen. "Die vor Kurzem verabschiedete MSR ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber sie scheint mir zu zurückhaltend zu sein, um schnell genug ein ausreichend starkes Kohlenstoffpreissignal zu liefern", sagt er. Eine wichtige Erkenntnis von ENTRACTE in dieser Hinsicht ist der Hinweis, dass die Einhaltung in den Mitgliedstaaten variiert, und zwar weil sich die zugrunde liegenden Prinzipien der Durchsetzungsstrategien, die institutionellen Rahmenbedingungen und die Finanzierung unterscheiden. Ein solcher Mangel an Compliance in einem oder wenigen Mitgliedstaaten kann das Funktionieren des ETS in seiner Gesamtheit in der Tat gefährden. Dr. Schenker ist der Meinung: "Eine einheitliche Umsetzung von Überwachung und Durchsetzung in allen teilnehmenden Staaten ist von entscheidender Bedeutung für die Integrität und den Erfolg des EU-ETS." Aber während die Überwachung und Durchsetzung von entscheidender Bedeutung sind, so fügt er hinzu, "bringen 'Überwachung, Berichterstattung und Überprüfung' Kosten für die regulierten Unternehmen und Fabriken mit sich, die die allgemeine Wirksamkeit des EU-ETS beeinflussen können. Unsere Analyse dieser Transaktionen zeigte einen erheblichen Einfluss auf die durchschnittlichen Kosten, insbesondere für KMU (kleine und mittlere Unternehmen). Dies deutet auf ein passives, Compliance-orientiertes Verhalten dieser Emitter hin: sie akzeptieren die Kosten für die Zertifikate als zusätzliche Betriebskosten, statt sich um Verbesserungen bei ihrer Kohlenstoffeffizienz zu bemühen." Das Team konnte keine Belege dafür finden, dass die gesamtwirtschaftliche Produktivität durch ETS-Regulierungen gestiegen oder gesunken ist, noch gab es konkrete Informationen über Innovationen, die das System am Markt ausgelöst haben könnte. Die richtige politische Mischung ENTRACTE legt nicht nur bestehende Probleme offen, es schlägt auch konkrete Lösungen vor. Um die Kohlenstoffpreise zu erhöhen und die Volatilität zu verringern, entwickelten die Forscher ein Modell für das ETS, das einen Anpassungszuteilungsmechanismus für Zertifikate umfasst – ähnlich wie die MSR. Um die Transaktionskosten für KMU zu verringern, schlugen sie vor, einigen kleineren Firmen die Möglichkeit zu geben, sich gegen das Programm zu entscheiden, indem sich die Verordnung eher auf den Kohlenstoffgehalt von fossilen Brennstoffen konzentriert, anstatt die ausgestoßenen Emissionen auf Installationsebene zu messen. Auch externe Effekte durch das fortlaufende Lernen (Learning-by-doing) und das Lernen aus der Nutzung müssen angegangen werden. Das Team schlägt eine Marktprämie (oder einen 'Renewable Portfolio Standard') zusätzlich zum Stromgroßhandelspreis vor, der Ökostromproduzenten für ihren Beitrag zur Verringerung der Kosten vergüten würde. Den Forschern zufolge muss der externe Effekt durch ein Lernen durch Suchen berücksichtigt werden, da die Erzeugung von Wissen durch Forschung und Entwicklung ein zum Teil öffentliches Gut darstellt. Verschiedene Marktversagen, die die Aufnahme von energieeffizienten Technologien behindern, wurden ebenfalls identifiziert. Allerdings sind "diese Marktversagen sehr spezifisch und haben besondere Auswirkungen auf die verschiedenen Verbraucher. Insofern müssen erfolgreiche politische Maßnahmen sehr gut abgestimmt werden, um Verzerrungen zu reduzieren. Das Risiko, mehr Schaden anzurichten als Vorteile zu bringen ist sicherlich hoch", warnt Dr. Schenker. Dennoch zeigen die Projektergebnisse, dass es "zusätzlich zu dem Preis auf Kohlenstoff gute Gründe für die Verwendung eines Politik-Mixes gibt, der sich mit spezifischen Marktversagen jenseits der externen Klimaeffekt befasst." Dr. Schenker unterstreicht, dass adäquat ausgerichtete ergänzende politische Maßnahmen nicht zu Verzerrungen führen, sondern voraussichtlich die Kosten senken würden. "Ein besonders interessantes Ergebnis ist, dass die Notwendigkeit für diese ergänzenden Maßnahmen im Laufe der Zeit abnimmt, wenn die Auswirkungen von Spillovers, Learning-by-doing, Größenvorteilen und dem Abbau von Informations- oder anderen Barrieren, realisiert werden", sagt er. "Insbesondere können Maßnahmen im Zusammenhang mit Innovation und neuen Technologien die Kosten reduzieren, und zwar um bis zu ein Drittel im Vergleich zu einem "reinen" Preisansatz." Da das Projekt im September 2015 abgeschlossen wurde, hat das Team in Zusammenarbeit mit dem Schwesterprojekt CECILIA2050 ein Joint-Policy Brief veröffentlicht. Schenker ist zuversichtlich, dass die Ergebnisse des Projekts den politischen Entscheidungsträgern in Brüssel und den EU-Mitgliedstaaten das ETS verständlicher gemacht haben. "Ich hoffe, durch unsere Arbeit werden ihnen die Komplexität und die unbeabsichtigten Nebeneffekte von politischen Entscheidungen in diesem komplexen Netz von Regulierungen und Institutionen voll und ganz bewusst gemacht", schließt er.
Schlüsselbegriffe
ETS, Emissionshandelssystem, Kohlenstoffpreissystem, Markstabilitätsreserve