Projekt-Erfolgsstorys - Verheißungsvolle Gentherapie für Gehirnerkrankungen
Erkrankungen des zentralen Nervensystems (ZNS) zählen zu den verheerendsten und zerstörerischsten Krankheiten, die sowohl den Patienten das Leben schwer machen als auch letztlich deren Angehörigen in Mitleidenschaft ziehen. Zum Beispiel Parkinson: Diese degenerative Erkrankung erodiert langsam die motorischen Fähigkeiten, kognitive Prozesse und andere Hirnfunktionen, verursacht Schlafstörungen und sensorische Schwierigkeiten. Was den Körper betrifft, so leiden die Patienten typischerweise an Tremor – sie zittern – und ihre Bewegungen werden langsamer und vorsichtiger, während ihre Haltung eher steif und unsicher wird. Es treten außerdem kognitive und neurologische Auswirkungen wie etwa Demenz auf, die Aufmerksamkeit, Sprache, Problemlösungsfähigkeiten wie auch Gedächtnis beeinflussen können und geliebte Menschen tragischerweise zu Fremden werden lassen. "Für die meisten Erkrankungen des Zentralnervensystems gibt es immer noch keine heilenden Therapieverfahren – aber die Gentherapie ist ein erfolgversprechender neuer Ansatz", so Dr. Sebastian Kügler, leitender Forscher des Neugene-Projekts. Dr. Kügler dazu: "Wir gehen davon aus, dass es möglich ist, Gehirnfunktionen und Pathophysiologie durch gezielten Einsatz spezieller kurativen Faktoren für ausgewählte, von der Erkrankung betroffene Gehirnzellpopulationen zu modifizieren." Die Gentherapie ist ein spannender und sich rasant weiterentwickelnder Zweig der Medizin. Mit ihre werden Krankheiten behandelt, indem Gene innerhalb der Zellen und der biologischen Gewebe des Patienten verändert oder entfernt werden. Bei einer typischen Gentherapieanwendung werden mutierte Gene durch normal funktionierende ersetzt. Neue Gene werden unter Einsatz viraler Vektoren eingefügt, welche in die Zielzelle eindringen und ihre genetische Fracht abliefern. Anschließend werden die viralen Partikel dann abgebaut. Die Technologie steckt noch in den Kinderschuhen, aber es gab bereits etliche Teilerfolge zu verzeichnen. Bedeutendes Beispiel dafür ist die Behandlung des schweren kombinierten Immundefekts (severe combined immunodeficiency, SCID), einer Krankheit, bei der das Immunsystem eines Kindes so stark beeinträchtigt ist, dass es in einer sterilen Umgebung leben muss. SCID wurde 1976 in den USA durch den Film "The boy in the plastic bubble" mit dem jungen John Travolta als Hauptdarsteller bekannt. Das Drama basierte auf der wahren Geschichte des David Vetter, der sein Leben in einem sterilen Kunststoffisolator verbrachte und mit 13 Jahren starb. In den 35 Jahren, die seit dem Film vergangen sind, ist die Wissenschaft gut vorangekommen, aber es gibt immer noch offene Fragen. Acht von neun mit SCID geborenen männlichen Kindern waren neun Jahre nach einer Gentherapie, der sie sich in Frankreich unterzogen hatten, noch am Leben und wohlauf. Aber die Risiken sind nicht zu unterschätzen: Fast die Hälfte der Studienteilnehmer entwickelte nach der Therapie eine akute Leukämie. Drei überlebten, ein Kind starb. Noch viel zu tun Offensichtlich muss noch weitaus mehr geforscht werden, aber die Gentherapie ist und bleibt ein potenziell starker Ansatz zur Behandlung vieler Krankheiten. "Gentherapie öffnet auch die Tür zu wirksamen Behandlungen der Erkrankungen des ZNS", erklärt Dr. Kügler. "Sie kann passgerecht auf den einzelnen Patienten zugeschnitten werden." Die derzeit verfügbaren Gentransfervektoren unterliegen jedoch Einschränkungen hinsichtlich Sicherheit und Wirksamkeit, da man mit ihnen keine speziellen Nervenzell- oder Gliazellpopulationen anzielen oder Transgenexpression regulieren kann." Gliazellen sind Gehirnzellen, die die Nervenzellen stützen und schützen. Die Regulierung der Transgenexpression ist wichtig, da die Forscher verlässlich wissen wollen, auf welche Weise ein übertragenes Gen exprimiert oder aktiviert wird, und sie diesen Prozess kontrollieren oder regulieren wollen. Die Überwindung dieser Einschränkungen ist das Hauptziel des Neugene-Konsortiums, in dem europäische Wissenschaftler aus Hochschule und Industrie versammelt sind. Das Konsortium entwickelt Tools auf der Basis von Adeno-assoziierten Viren (AAV) und Lentiviren (LV), die einem gezielten und regulierten Gentransfer in verschiedene ZNS-Zellpopulationen dienen sollen. Adeno-assoziierte und Lentiviren sind häufig vorkommende Virusarten, aber die zu Therapiezwecken verwendeten Viren sind nicht Träger von Krankheiten. Das Konsortium entwickelt eine Auswahl von Vektoren, die für verschiedene therapeutische Ansätze optimiert werden. Ein Ansatz besteht beispielsweise darin, die Expression neurotropher Faktoren zu regulieren, die eine Sammlung von Proteinen darstellen, die das Wachstum und Überleben sich entwickelnder Nervenzellen und den Fortbestand der ausgereiften Zellen beeinflussen. Ein weiterer von Neugene verfolgter Ansatz wird auf die Manipulation der Neurotransmittersynthese in speziellen Nervenzellen abzielen. Neurotransmitter sind die chemischen Stimulanzien, die Signale durch das Gehirn hindurch übertragen. Neugene arbeitet an verschiedenen, miteinander in Beziehung stehenden Zielen. Auf dem Plan stehen die Entwicklung von Vektoren, die auf bestimmte Zellpopulationen abzielen, Methoden zur engen Kontrolle der Expressionslevel therapeutischer Gene und Sicherheitsmaßnahmen, bei denen ein gut etabliertes Tiermodell für Morbus Parkinson zum Einsatz kommen soll. Endspurt Neugene befindet sich in der Endphase eines auf drei Jahre angelegten Projekts und die Arbeit ist bisher gut vorangekommen. Die Entwicklung eines auf Astrozyten abzielenden Virus konnte als ein großer Erfolg verbucht werden. Astrozyten sind sternförmige Gliazellen, die viele Funktionen innehaben, zu denen die Stützung, Ernährung und Reparatur verschiedener Gehirnzellen sowie die Bildung von "Glianarben" gehören. "Die Funktionsfähigkeit des Gehirns hängt keineswegs nur von den Nervenzellen ab. Gliazellen und ganz besonders die Astrozyten haben eine unverzichtbare Rolle", stellt Dr. Kügler klar. "Gehirnastrozyten für ZNS-Gentransferstrategien passend zu machen war ein Hauptschwerpunkt für Neugene. Und dieses Ziel wurde voll und ganz und früher als geplant erreicht." Ein Durchbruch gilt als geschafft: Die Ärzte werden dank der Arbeit von Neugene letztlich in der Lage sein, an diese wichtigen Zellen heranzukommen. "Überdies konnten wir den Gentransfer in die von Parkinson betroffene Hauptziel-Zellpopulation optimieren", betont Dr. Kügler. Auch die Untersuchungen zur Regulierung der Transgenexpression sind fortgeschritten. Hier verfolgt das Projekt zwei potenzielle Regulierungssysteme. Eines arbeitet mit regulatorischen Proteinen und das andere mit Ribonukleinsäure-Aptameren (RNA). Aptamere binden sich an spezifische Zielmoleküle. Bei der auf Proteinen basierenden Regulierung hat man hervorragende Fortschritte gemacht - sie wird an Tiermodellen getestet. "Die RNA-Aptamer-Strategie ist völlig neu und stellt ein Projekt mit hohem Risiko und möglicherweise bahnbrechenden Ergebnissen dar. Erhebliche Fortschritte wurden bereits bei der Zusammenstellung des Assaysystems gemacht, das zur Ermittlung geeigneter Aptamere, erforderlich ist", so Dr. Kügler. Das Konsortium hat außerdem ein Funktionsmodul zur Validierung seiner Arbeit, darunter eine Dosierungsoptimierung für einige der vom Team untersuchten viralen Vektoren entwickelt. Die Auswirkungen dieser Forschungsanstrengungen könnten weit reichen. "Die sozioökonomische Belastung durch das menschliche Zentralnervensystem beeinflussende Erkrankungen wird auf 35% der gesamten EU-Krankheitslast geschätzt", verrät Dr. Kügler. "Der demografische Wandel in den alternden Gesellschaften der EU wird diesen Anteil noch deutlich steigern, und hier lässt sich eine entscheidende Herausforderung für kommende Generationen ablesen", meint er. So kam die Arbeit von Neugene an modernen Gentransfervektoren und Tools zur Umsetzung sicherer, wirksamerer Therapiemöglichkeiten gegen Parkinson und andere schwere Erkrankungen des ZNS zur rechten Zeit. Die Wichtigkeit des Projekts und seiner Resultate ist enorm. Das Neugene-Projekt erhielt Mittel aus dem Bereich "Gesundheit" des Siebten EU-Rahmenprogramms für Forschung.