Zurück zu den Ursprüngen der Biopolitik
Eine radikale Idee in der Geschichte des menschlichen Denkens bezieht sich auf die Fähigkeit des Menschen, durch die Dynamik von Macht und Wissen Lebensprozesse kontrollieren und verändern zu können. Unter dieser Prämisse werden das Leben und der lebende Mensch als Teil der politischen Auseinandersetzung verstanden. In diesem Kontext wird seit Beginn der zweiten Hälfte des 20. Jh. eine Frage verstärkt diskutiert: auf welche Weise beeinflusst wissenschaftliche Rationalität die menschliche Entwicklung? Mitte der 70er Jahre definierte der französische Philosoph, Soziologe und Historiker Michel Foucault (1926-1984) dieses Konzept als "Biopolitik". Foucault führte damit das Werk seines Mentors Georges Canguilhem (1904-1995) weiter. Auch dieser französische Philosoph und Arzt hatte sich auf Epistemologie und Philosophie der Wissenschaften spezialisiert – insbesondere der Biologie. Foucault befasste sich mit der Idee der Resistenz, nicht im üblichen negativen Sinne, sondern als Möglichkeit, Dinge zu schaffen, wieder erstehen zu lassen, zu transformieren und zu verarbeiten. Er hinterfragte, inwiefern Resistenz neue Formen von Machtbeziehungen generiert und postuliert, dass sich diese in Abhängigkeit davon mit verändern. Im Gegensatz zu den Ideen von Canguilhem, der eher in Vergessenheit geriet, beeinflusst das Foucaultsche Werk noch immer die seit 15 Jahren geführte Biopolitikdebatte. Dies lieferte auch den Auftakt für das Projekt Biopolitics: die Aufarbeitung der Arbeit Canguilhems und sein Beitrag zur aktuellen Debatte um die Biopolitik. Das Projekt engagierte sich für die Verlegung des Gesamtwerks von Canguilhem und hat die Veröffentlichung des ersten Bandes bereits für diesen Monat (September 2010) geplant. Vorrangiges Forschungsthema sind die unveröffentlichten Schriften des Philosophen aus den Jahren 1929-1943. Sie sollen die Reifung seiner philosophischen Reflektion zur Epistemologie von Medizin und Biologie verständlicher machen. Die Ergebnisse der Bemühungen werden die aktuelle Biopolitikdebatte maßgeblich beeinflussen und sich auch langfristig auf andere gesellschaftliche Bereiche auswirken, beispielsweise die Bioethik.