Das Fortschreiten von amyotropher Lateralsklerose an Immunzellen ablesen
Die amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine seltene neurodegenerative Erkrankung, die sich auf die motorischen Neuronen im Gehirn und dem Rückenmark auswirkt. Betroffene verlieren nach und nach die muskuläre Kontrolle, häufig erst in den Gliedmaßen, bevor es zu Schwierigkeiten beim Sprechen, Schlucken und Atmen kommt. Bei einigen kommt es zu kognitiven Beeinträchtigungen, zum Beispiel frontotemporaler Demenz. Oft sind Maßnahmen wie Rollstühle, Kommunikationshilfen, Beatmungsgeräte und eine angepasste Ernährung notwendig. Ohne eine Heilung führt ALS schließlich zu einer Lähmung und Atemstillstand. „ALS wird zunehmend als systemische Erkrankung anerkannt, die sich nicht nur auf das zentrale Nervensystem (ZNS), sondern den gesamten Körper auswirkt. Erkenntnisse zur Verbindung zwischen dem ZNS und anderen physiologischen Aspekten könnten helfen, die Ursache zu erklären und Behandlungen zu entwickeln“, so Fang, Projektkoordinatorin bei MegaALS, das über den Europäischen Forschungsrat finanziert wurde.
Die Darmflora und die Immunantwort erforschen
Bei ALS kommt es oft zu einem veränderten Energiestoffwechsel und abweichenden Immunreaktionen, die mit einem Fortschreiten der Krankheit im Zusammenhang stehen. Die Hypothese bei MegaALS war also, dass diese zumindest teilweise auf Veränderungen in der Zusammensetzung und Funktion der Darmflora zurückzuführen sein könnten. Daher hat das Team zusammen mit der ALS-Klinik des Karolinska-Universitätskrankenhauses zunächst die ALSrisc Study in Stockholm durchgeführt. Dabei wurden der Energiestoffwechsel, die Immunreaktionen und Marker der Darmflora bei ALS-Betroffenen mit einer gesunden Kontrollgruppe verglichen. Zudem wurden ALS-Betroffene mit unterschiedlichen Krankheitsmerkmalen (wie Alter bei Diagnose und Geschwindigkeit des Krankheitsverlaufs) untereinander verglichen. Bei der Studie wurden Profile von Proteinen und verschiedenen Immunbiomarkern in Blut und Zerebrospinalflüssigkeit erstellt sowie die Zusammensetzung und Funktion der Darmflora quantifiziert. „Wir konnten eine Veränderung der Zusammensetzung der Darmflora bei ALS-Betroffenen und einen Zusammenhang mit dem Krankheitsverlauf nachweisen und am humanisierten ALS-Mausmodell bestätigen“, berichtet Fang vom Karolinska-Institut, dem Projektträger. Am Mausmodell zeigte sich auch die Wirksamkeit, eine kalorienreiche Ernährung mit einer Transplantation von fäkaler Mikrobiota von gesunden Spendenden zu kombinieren, um ALS vorzubeugen und zu behandeln. Die Stoffwechsel- und Immunreaktionen wurden ausgewertet, um die zugrundeliegenden biologischen Mechanismen zu erklären. „Wir konnten die entscheidende Rolle der Darmflora für den Krankheitsverlauf bei genetisch Veranlagten nachweisen. Eine Transplantation der fäkalen Mikrobiota von ALS-Betroffenen hat eine Immunreaktion ausgelöst. Gleichzeitig konnten wir beobachten, dass eine fettreiche westliche Ernährung Entzündungen hervorrufen kann, was die Krankheit verschlimmert“, sagt Rosa Luisa Potenza, MegaALS-Forscherin am Italienischen Nationalen Gesundheitsinstitut (ISS). Ein wichtiges Projektergebnis war die Identifizierung von speziellen Untergruppen von Immunzellen als Marker des Krankheitsverlaufs und für die Überlebenschance. „Die Identifizierung von Untergruppen von Immunzellen als Marker für den ALS-Verlauf ist ein Hinweis auf neue Behandlungsziele. Das könnte beinhalten, die Effektor-T-Zell-Aktivität zu verändern oder die Rolle von nützlichen Zelltypen wie regulatorischen T-Zellen zu stärken“, ergänzt die Immunologin Christina Seitz.
Vielversprechende Wege für ALS-Behandlungen
ALS ist zwar relativ selten, aber da die Ursachen kaum bekannt sind und es keine wirksame Behandlung gibt, ist es eine zunehmende Herausforderung für die öffentliche Gesundheit, die teils durch eine alternde Bevölkerung mit Prognosen von bis zu 376 674 Fällen im Jahr 2040 bedingt wird. Das Wissen aus MegaALS könnte auch für andere neurodegenerative Erkrankungen wie die Alzheimer- oder Parkinson-Krankheit genutzt werden. Der große Datensatz und die Biobank der ALSrisc Study (mit mehr als 500 neu diagnostizierten ALS-Betroffenen und einer ähnlich großen Kontrollgruppe) erweist sich bereits als wertvoll. „Die 80 % Teilnahmequote und fast 100 % Nachuntersuchungsquote machen mich besonders stolz, da es die Validität der Ergebnisse stärkt. Im Laufe der Zeit wird die ALSrisc Study zu einer internationalen Ressource werden“, so Fang.
Schlüsselbegriffe
MegaALS, amyotrophe Lateralsklerose, ALS, neurodegenerativ, Mikrobiota, Immunzellen, Darm, Darmflora, Stoffwechsel, T-Zellen, Alzheimer-Krankheit