Wo Kultur auf Naturschutz trifft: Flüsse für die Zukunft bewahren
Bevölkerungswachstum, Klimawandel und industrielle Entwicklung setzen die Wasserressourcen unter Druck, sodass innovative Maßnahmen erforderlich sind. Die Sozialwissenschaften befinden sich aufgrund ihrer Aufgabe, die Beziehungen zwischen Mensch und Umwelt zu erforschen, in einer einzigartigen Position, Erkenntnisse zu liefern, die als Grundlage für eine nachhaltige Wasserbewirtschaftung und Naturschutzpraktiken dienen können.
Untersuchung der sozioökologischen Dynamik
Das Team des mit Unterstützung der Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen durchgeführten Projekts HYSOTIB konzentrierte sich auf die soziokulturelle und ökologische Dynamik einer der weltweit bedeutendsten, zum natürlichen Erbe zählenden Flusslandschaften: des Sanjiangyuan-Naturschutzgebiets im Herzen der Qinghai-Tibet-Hochebene in China. Diese Region, welche die Quellen des Gelben Flusses, des Jangtzekiangs und des Mekongs umfasst, stellt nicht nur einen ökologischen Schatz dar, sondern ist auch ein lebendiger Hort des kulturellen und natürlichen Erbes. Die Umwandlung des Qinghai-Quellflussgebiets in einen Nationalpark im Jahr 2021 unterstreicht die entscheidende Rolle der tibetischen indigenen Gemeinschaften beim Schutz dieses empfindlichen Land-Wasser-Ökosystems. Die Forschung im Rahmen staatlich gelenkter Naturschutzbemühungen in China konzentriert sich auf die Auswirkungen moderner tibetischer Hirtenpraktiken auf das Ökosystem. Ein tieferes Verständnis ihrer immer wichtiger werdenden Rolle, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Belange des Umweltschutzes, ist jedoch unerlässlich. HYSOTIB war ursprünglich als eine ethnografische Untersuchung konzipiert, um die Beziehungen der tibetischen Gemeinschaften entlang des Flusses Jangtzekiang innerhalb des Sanjiangyuan-Naturschutzgebiets zu erforschen. Zudem wurde versucht, diese Dynamik mit Wasserlandschaften in westlichen Kontexten zu vergleichen, um das globale Verständnis des Erbes im Zusammenhang mit einem Fluss zu erweitern.
Geohistorische Analyse
Der Ausbruch der COVID-19-Pandemie Anfang 2020 stellte die Projektkomponente der Feldarbeit vor erhebliche Herausforderungen. Aufgrund der eingeschränkten internationalen Mobilität musste die Arbeit des Projekts HYSOTIB auf eine geohistorische Analyse ausgerichtet werden. Im Zuge der Studie wurde ein neuartiger methodischer Rahmen angewandt, bei dem Archivrecherchen, kartografische Materialien und vorläufige ethnografische Daten genutzt werden. „Wir haben historische menschliche und über den Menschen hinaus vorhandene Mobilitäten entlang des oberen Jangtzekiangs erforscht“, erklärt die Marie-Skłodowska-Curie-Forschungsstipendiatin Monia Chies. Insgesamt trug die Projektarbeit dazu bei, die Dynamik des oberen Jangtzekiangs und seine Rolle in regionalen und kulturellen Interaktionen zu entschlüsseln. Bis in die 1950er Jahre hinein diente der Fluss als wichtige Grenze im chinesisch-tibetischen Grenzgebiet. Darüber hinaus wurde im Rahmen des Projekts eine fluvial-geomorphologische Analyse durchgeführt, um diese historische Dynamik in den Kontext der allgemeinen ökologischen Veränderungen in der Region zu stellen. Während des dreitägigen „Water-Ways Workshop“ im Ca’ Foscari, dem Sitz der Universität Venedig, vom 25. bis 27. September 2024 erkundete ein interdisziplinäres Team aus fünfzehn Forscherinnen und Forschern die Verbindungen zwischen Venedig, bekannt als Wasserstadt, und wichtigen Flussregionen in Asien, um vergleichende Einblicke in das Erbe und die Infrastruktur im Zusammenhang mit Wasser zu gewinnen.
Auswirkungen und zukünftige Ausrichtung
Mithilfe der Kombination von Methoden aus der Flussgeomorphologie, Kulturanthropologie und Sozialgeschichte ist es dem Team von HYSOTIB gelungen, die Kluft zwischen Wasserwissenschaften und Erhaltung des kulturellen Erbes zu überbrücken. Anhand von inklusiver, disziplinübergreifender Forschung lieferte es überdies ein Modell zur Bewältigung globaler Wasserprobleme. Die Erkenntnisse von HYSOTIB in Bezug auf die lokalen Wechselwirkungen zwischen Mensch und Fluss bergen das Potenzial, nachhaltige Bewirtschaftungspraktiken zu vermitteln und die Politikgestaltung zu beeinflussen. Durch Anerkennung des Sanjiangyuan-Naturschutzgebiets als eine Kulturerbe-Flusslandschaft konnte das Projektteam die Bedeutung der Integration von lokalem ökologischem Wissen in die Naturschutzpolitik hervorheben. Außerdem wurde das Potenzial des kulturübergreifenden Austauschs zur Bewältigung der globalen Wasserprobleme unterstrichen. Chies schätzt ein: „Angesichts der zunehmenden Dringlichkeit der Wasserproblematik veranschaulicht das Projekt HYSOTIB die entscheidende Rolle, welche die Sozialwissenschaften bei der Förderung der Nachhaltigkeit und der Wertschätzung unseres gemeinsamen natürlichen und kulturellen Erbes spielen können.“ Das projektinterne interdisziplinäre Netzwerk bietet eine Plattform für die zukünftige Zusammenarbeit bei der Lösung von Wasserproblemen in unterschiedlichen ökologischen und kulturellen Kontexten.
Schlüsselbegriffe
HYSOTIB, Erhaltung, Schutz, kulturelles Erbe, Sanjiangyuan-Naturschutzgebiet, China, Wasserbewirtschaftung