Kipppunkte für den Eisverlust in der Antarktis ermitteln
Beim antarktischen Eisschild handelt es sich um die größte Eismasse auf unserem Planeten. Es fasst über 60 % des Süßwassers der Welt und erstreckt sich über eine Fläche, die fast doppelt so groß ist wie Australien. Ein Hauptproblem besteht darin, dass die fortschreitende Erwärmung in der Region zu einer verstärkten Eisschmelze führt, wodurch sich die Gletscher zurückziehen und die Eisschilde auseinanderbrechen, was wiederum einen weltweiten Anstieg des Meeresspiegels zur Folge hat. Das Projekt TiPACCs wurde ins Leben gerufen, um ein diese Situation neu zu bewerten und die Wahrscheinlichkeit abrupter, großer Änderungen des Meeresspiegels zu untersuchen, die vom antarktischen Eisschild ausgehen.
Ein Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt
„Ein Hauptaugenmerk lag auf der Stabilität des Eisschildes selbst sowie auf der Möglichkeit, dass es Kipppunkte überschreitet, die zu plötzlichen Veränderungen des Meeresspiegels führen könnten“, bemerkt die Projektkoordinatorin von TiPACCs, Petra Langebroek vom Norwegischen Forschungszentrum (NORCE) und dem Bjerknes Centre for Climate Research (BCCR). Langebroek koordinierte das Projekt TiPACCs zusammen mit Svein Østerhus, ebenfalls von NORCE und BCCR. Langebroek stellt fest, dass jüngste Beobachtungen und Modellierungen einen Rückzug in der Westantarktis, besonders in der Region um den Thwaites-Gletscher, bestätigt haben. Diese Region ist besonders gefährdet, weil dort warmes Ozeanwasser das Eis erreichen kann – andere Teile der Antarktis sind durch kältere Küstengewässer geschützt. „Wir wollten den gesamten antarktischen Eisschild erforschen und prüfen, ob diese Küstenschelfmeere von einem ‚kalten‘ Zustand in einen ‚warmen‘ Zustand übergehen können“, so Langebroek. „Wir wollten auch erfahren, ob der Eisschild durch die dadurch verursachten höheren Schmelzraten instabil geworden ist oder einen Kipppunkt überschreiten könnte.“ Eine wichtige Inspiration dafür war eine Modellstudie von TiPACCs-Kollege Hartmut Hellmer aus dem Jahr 2012, die das Eindringen von wärmerem Wasser in diese Schelfeisregionen simulierte.
Auswirkungen auf den weltweiten Meeresspiegel
Dazu verwendete das Projektteam numerische Modelle zur Beschreibung des Ozeans und zur Simulation des Eisschilds. Durch die Kopplung dieser Modelle konnte das Team ermitteln, wie ein „Umschalten“ der die Antarktis umgebenden Meere von einem kalten auf einen warmen Zustand erfolgen könnte, welche Auswirkungen dies auf die Integrität des Eisschildes haben könnte und welche Folgen dies für den globalen Meeresspiegel haben könnte. „Als wir mit diesem Projekt begannen, gab es kaum gekoppelte Modelle wie diese“, fügt Langebroek hinzu. „Durch TiPACCs und andere europäische Projekte wie PROTECT konnten wir unsere Modellierungsverfahren erheblich verbessern und verfügen nun über mehrere gekoppelte Modelle zur Verbindung von Ozean und Eisschild.“ Die Eisschildmodelle des Projekts sorgten für übereinstimmende Ergebnisse – dass der heutige antarktische Eisschild wahrscheinlich noch nicht den Kipppunkt überschritten hat. „Dies bedeutet, dass der gegenwärtig beobachtete Rückgang nicht auf einen überschrittenen Kipppunkt zurückzuführen ist“, so Langebroek. „Wenn sich dieses Muster jedoch fortsetzt, wird der Eisschild instabil, und ein irreversibler Rückzug ist wahrscheinlich, insbesondere in der Westantarktis.“
Erforschung des antarktischen Eisschildes voranbringen
Die Projektergebnisse werden nun in die globalen Bewertungsberichte einfließen, z. B. in die des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (IPCC). Das Team erstellte außerdem ein Kurzdossier, in dem es die gewonnenen Erkenntnisse und die noch bestehenden Wissenslücken aufzeigt. So wird beispielsweise eine ganzheitliche Betrachtung des antarktischen Eisschildes und des umgebenden Ozeans, der Atmosphäre und des Landes empfohlen. „Ich betrachte dieses Projekt als ein wichtiges Sprungbrett für die weitere Erforschung des antarktischen Eisschildes“, so Langebroek abschließend. „Die im Rahmen des Projekts gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse, insbesondere die verbesserten Klimamodelle, können uns helfen, die Unsicherheiten bei unseren Prognosen über den künftigen Eisverlust zu verringern.“ Projektintern wurden die Ergebnisse auch in Form von Videos und Unterrichtsmaterialien bereitgestellt. Das frei verfügbare Instrument Virtual Antarctica wurde ebenso entwickelt, mit dem sich jeder auf interaktive Weise über den gefrorenen Kontinent informieren kann.
Schlüsselbegriffe
TiPACCs, Antarktis, Meeresspiegel, Klima, Gletscher, Eis, Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen, Kipppunkte