Auf den Spuren des Äskulap-Kultes
Computergestützte und digitale Technologien erweisen sich in den digitalen Geisteswissenschaften weiterhin als wertvolle Hilfsmittel. Für die Historiografie sind sie von besonders großem Nutzen. Mit Unterstützung durch die Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen konnte das Projekt AscNet bestehende Hypothesen im wissenschaftlichen Diskurs prüfen, die sich vorwiegend auf etablierte historiografische Methoden stützten.
Die Kultverbreitung und die Rolle des römischen Heers
Die erste Hypothese, der das Projekt nachging, war die Behauptung, dass es römische Soldaten waren, die den Kult des griechisch-römischen Gottes der Heilkunst Äskulap erfolgreich verbreiteten. Das ist eine logische Annahme, da römische Soldaten eine höchst mobile Gruppe waren, die bis an die äußersten Grenzen des Römischen Reichs kamen und dabei Teile ihrer römischen Kultur mit sich trugen. AscNet analysierte die relativen Entfernungen zwischen Militäreinsätzen und Kultstätten zu Ehren des Äskulap und stellten dabei eine eindeutige Nähe fest, die diese These stützt. Das Projekt konnte diesen kulturellen Transfer allerdings noch näher beleuchten. So stellte es fest, dass das räumliche Vorkommen von Ärzten ein guter Anhaltspunkt für das räumliche Auftreten des Äskulap-Kultes im römischen Heer war. Das lässt darauf schließen, dass römische Soldaten ihre gute Gesundheit sowohl den Ärzten als auch dem Gott Äskulap zuschrieben. Die zweite Hypothese behauptet, dass Äskulap zur Zeit der Antoninischen Pest um 165–180 u. Z. mehr Beliebtheit erfuhr. Sie basiert auf dem Argument, dass die Menschen den Gott der Heilkunst während dieser Gesundheitskrise intensiver anbeteten. Die Analyse von AscNet hat jedoch gezeigt, dass die Verehrung des Äskulap in lateinischen Inschriften keineswegs intensiver war als andere Götterkulte zur damaligen Zeit, sondern vielmehr dem allgemeinen Usus römischer Epigrafen entsprach.
Eine ausgereifte historiografische Methodik
„Quantitative Ansätze im Umgang mit archäologischen oder epigrafischen Daten werden grundsätzlich durch die Unvollständigkeit oder die zeitlichen Unsicherheiten der Daten erschwert“, erklärt Projektkoordinator Tomáš Glomb. Um die Beliebtheit von Äskulap während der Antoninischen Pest zu ermitteln, nahm sich das Team vor, die lateinischen Inschriften zu Ehren dieses Gottes in unterschiedlichen Epochen zu zählen. Doch römisch-lateinische Inschriften sind oft nur auf ein konkretes Jahrzehnt, und manchmal sogar nur auf ein konkretes Jahrhundert, datiert, wobei diese Angaben meist als Zeitspanne in der Form „nicht vor“ und „nicht nach“ erfolgten. Dass die Gesundheitskrise gut 15 Jahre andauerte, machte es somit besonders kompliziert, Äskulaps Beliebtheit zu ermitteln. „Glücklicherweise gibt es mathematische Werkzeuge, die in der Lage sind, solche Hürden zu überwinden“, berichtet Glomb. „Wir griffen auf sogenannte Monte-Carlo-Algorithmen zurück, die zu unseren Inschriften Tausende von möglichen Ursprungsdaten innerhalb ihrer Intervallgrenzen generierten. Diese konnten wir dann heranziehen, um die jeweils wahrscheinlichste zeitliche Verteilung zu modellieren, und neue Argumente zur wissenschaftlichen Debatte beizusteuern.“
Das vielversprechende Potenzial der interdisziplinären Historiografie
„Unsere Ergebnisse haben nicht nur gezeigt, dass der Prozess des kulturellen Transfers in Raum und Zeit von äußerst komplizierter Dynamik war. Wir haben nun zudem die nötigen Werkzeuge und Daten an der Hand, um diese Dynamik schrittweise aufzuschlüsseln“, merkt Glomb an, der das Spektrum an Faktoren, die die Verbreitung der Verehrung römischer Gottheiten darlegen, erforschen und entschlüsseln möchte. Die Daten und Manuskripte des Projekts AscNet sind umfassend beschrieben und öffentlich verfügbar, sodass andere Forschende, die bei ihrer Arbeit vor ähnlichen Herausforderungen stehen, ebenfalls davon profitieren können.
Schlüsselbegriffe
AscNet, Äskulap, Verehrung, Kult, Götterkult, Anbetung, Inschriften, Historiografie, wissenschaftliche Debatte