Das jahrhundertealte Rätsel um ein Supergen ist enthüllt
Eine Gruppe von Wissenschaftler*innen hat mit Unterstützung des EU-finanzierten Projektes SuperGenE das langjährige Rätsel des Supergens gelöst, das für eine effiziente Fremdbestäubung von Blüten sorgt. Ihre überraschenden Ergebnisse zur Variation der Sequenzlänge auf der DNS-Ebene wurden in der Fachzeitschrift „Current Biology“ veröffentlicht. Bereits seit dem 16. Jahrhundert ist bekannt, dass bestimmte Pflanzenarten zwei Blütenformen haben, die jeweils entweder lange männliche und kurze weibliche Geschlechtsorgane aufweisen oder umgekehrt. Manche Blüten haben lange Griffel (Teile des weiblichen Geschlechtsorgans, auch Stylus genannt) und kurze Staubbeutel (Teile des männlichen Geschlechtsorgans, auch Anthere genannt), andere wiederum kurze Griffel mit Staubbeuteln, die hoch in der Blüte ansitzen. Charles Darwin stellte erstmals die Theorie auf, dass solche zweigriffeligen (distylen) Blüten die effiziente Fremdbestäubung durch bestäubende Insekten fördern. Frühe Genetiker*innen konnten zeigen, dass die Vererbung der sogenannten Distylie so erfolgt, als ob sie von einer einzigen chromosomalen Region gesteuert würde, in der möglicherweise ein Supergen vorkommt. Als Supergen wird ein Chromosomenabschnitt bezeichnet, der aus einem Bündel eng verbundener Gene besteht, welche als Gruppe vererbt werden. Dieses Supergen war bisher allerdings noch nie sequenziert worden.
Ein Supergen mit variierender Länge
Das Forschungsteam setzte moderne Verfahren zur DNS-Sequenzierung ein, um das Supergen für Distylie in der wilden Lein-Art Linum tenue zu bestimmen. Dabei machten die Forschenden die überraschende Entdeckung, dass das Supergen, das zur Bildung von unterschiedlich langen männlichen und weiblichen Geschlechtsorganen führt, auch selbst in der Länge variiert. Die dominante Form des Supergens wies rund 260 000 DNS-Basenpaare auf, die in der rezessiven Form fehlten. Der DNS-Strang aus diesen 260 000 Basenpaaren enthielt mehrere Gene, die für die Längenvariation der Geschlechtsorgane verantwortlich sein könnten. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Variation der Sequenzlänge auf DNS-Ebene bei der Evolution distyler Blüten eine wesentliche Rolle spielt. „Diese Erkenntnisse waren für uns sehr überraschend, denn eine ähnliche genetische Zusammensetzung des Supergens für Distylie wurde bereits zuvor in einem anderen System – dem der Primeln – identifiziert, wo die Entwicklung völlig unabhängig stattfand“, erklärt die Hauptautorin der Studie, Prof. Tanja Slotte vom SuperGenE-Projektträger, der Universität Stockholm in Schweden, in einer Pressemitteilung auf der Website der Universität. „Die Evolution hat nicht nur zu einer ähnlichen Variation bei den Blüten von Primel- und Lein-Arten geführt, sondern dafür auch auf eine ähnlich genetische Lösung zurückgegriffen“, hält die Erstautorin Juanita Gutiérrez-Valencia, Doktorandin an der Universität Stockholm fest. Die Forschung, die teilweise im Rahmen des Projektes SuperGenE (Supergene evolution in a classic plant system – bringing the study of distyly into the genomic era) finanziert wurde, enthüllt, wie die Evolution konvergente Lösungen für häufig vorkommende Anpassungsprobleme findet. Prof. Slotte schließt: „Die Distylie ist letztlich ein Mechanismus für die effiziente Fremdbestäubung. Ein grundlegendes Verständnis von Bestäubungsmechanismen ist angesichts des Klimawandels und der Herausforderungen, die für Populationen von bestäubenden Pflanzen und Insekten daraus erwachsen, heute wichtiger denn je.“ Weitere Informationen: SuperGenE-Projekt
Schlüsselbegriffe
SuperGenE, Supergen, Blüte, Bestäubung, Fremdbestäubung, DNS, Distylie, Lein, Primel