Soziale Unterstützung in Zeiten von COVID-19: Prostituierte in Paris
Menschen, die aus dem globalen Süden nach Europa migrieren, landen manchmal in der Prostitution, sei es gezwungen oder freiwillig. Forschende und politisch Verantwortliche sorgen sich aus diesem Grund um die öffentliche Gesundheit und Sicherheit. „COVID-19 war ein Wendepunkt für viele, die in der Prostitution tätig sind, und ihre Lebensbedingungen wurden dadurch noch prekärer“, so Brigida Proto, Projektkoordinatorin von CosmopolitanCare. Im Mittelpunkt des Projekts, das von der École des hautes études en sciences sociales (EHESS, dt.: Schule für fortgeschrittene Studien in den Sozialwissenschaften) in Frankreich durchgeführt wurde, stand die Interaktion zwischen Sozialarbeitenden und nigerianischen Sexarbeiterinnen in Paris.
Anpassung der Ethnografie an die Bedingungen unter COVID-19
Studien zu den Themen Prostitution und öffentliche Gesundheit verfolgen traditionell entweder eine qualitative oder eine quantitative Forschungsperspektive. Proto ging davon aus, dass diese Unterteilung in Beobachtende und Beobachtete möglicherweise ihre Forschungsergebnisse einschränken würde. Stattdessen wurde ihr über die Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen unterstütztes Projekt nach den Grundsätzen der Ethnografie und der partizipativen Forschung konzipiert. „Im Rahmen der Ethnografie können die Forschenden am täglichen Leben teilhaben, während die partizipative Forschung Momente des kollektiven Austauschs ermöglicht“, erklärt Proto. Aufgrund der Ausgangsbeschränkungen, die auf dem Höhepunkt der Pandemie eingeführt wurden, musste Proto ihren Ansatz leider überarbeiten. „Ich konzentrierte mich mehr auf die Vernetzung, sowohl auf lokaler als auch auf internationaler Ebene, was dank der digitalen Mittel möglich war“, fügt Proto hinzu. Proto wurde von Aux captifs, la libération, einer Vereinigung, die sich für Geflüchtete und Zugewanderte in Paris einsetzt, als Freiwillige ausgebildet. Während der Ausgangsbeschränkungen arbeitete sie als Fahrerin und bot zusammen mit Sozialarbeitenden und medizinischem Fachpersonal bei Fahrten durch die Straßen soziale Unterstützung an. „Da ich mit der Vereinigung zusammenarbeitete, vertrauten mir die Frauen. Ich habe ihre alltäglichen Belastungen gesehen, wie z. B. die Folgen der Gewalt durch Kunden und die Konsequenzen ihres rechtlichen Schwebezustands“, so Proto.
Initiativen zu sozialer Unterstützung aus der Bevölkerung
Proto weist darauf hin, dass die Pandemie ihr genau genommen eine einzigartige Gelegenheit bot. „Ich habe aus erster Hand erfahren, wie sich der öffentliche Gesundheitsnotstand auf die Möglichkeiten zur Emanzipation auswirkte“, erzählt sie. Laut Proto stiegen einige Sexarbeiterinnen aufgrund der Pandemie von der Straßenprostitution auf die Online-Prostitution um, was auch die sozialen Probleme auf diesem Gebiet herausstellt. Als positive Beispiele nennt sie Initiativen zur sozialen Unterstützung aus der Bevölkerung. So richtete beispielsweise eine Vereinigung von Transsexuellen noch vor den erstmaligen Ausgangsbeschränkungen in Paris schnell einen Fonds zur sozialen Unterstützung ein, der Gesundheits-Kits, Lebensmittelpakete und ein Solidaritätsnetzwerk für Unterkünfte bereitstellte. Während sie bei Aux captifs, la libération aktiv war, beteiligten sich die nigerianischen Frauen an Initiativen zur Förderung des Selbstbewusstseins und der Selbstfürsorge, z. B. an künstlerischen Aktivitäten für Opfer von Gewalt und Unterstützungsgruppen für Frauen, die mit HIV leben. „Ein neuer Sinn für die gemeinschaftliche Unterstützung schien sich abzuzeichnen, der eine ganzheitliche Ausrichtung hat, aber auf präventiver Medizin und einem Bewusstsein für die spezifischen Risiken der Prostitution beruht“, so Proto. Im Zuge der Pandemie entschieden sich einige der Frauen dafür, die Prostitution ganz aufzugeben. Nach Angaben von Proto hat sich die Nachfrage nach einem Ausstieg aus der Prostitution während der ersten Ausgangsbeschränkungen in Paris mehr als verdoppelt. „Die nigerianischen Frauen, die ich getroffen habe, waren Akrobatinnen, die den Spagat zwischen Traditionen und dem Wunsch nach Emanzipation schafften wollten – weder rein passive Opfer des Menschenhandels noch stolze militante Sexarbeiterinnen“, bemerkt Proto.
Eine neue Sicht auf den Menschenhandel
CosmopolitanCare stellt die vorherrschende Ansicht in Frage, dass Menschenhandel in erster Linie eine Frage des internationalen Menschen- oder nationalen Strafrechts ist. Ebenso sehr gehe es dabei um das Wohlergehen der Stadt. „Wir betonen, dass die Reaktion auf Schocks wie COVID-19 zunehmend von neuen Formen der Zusammenarbeit zwischen lokalen Behörden, Einrichtungen und der Zivilgesellschaft abhängen wird“, so Proto weiter. Proto wird sich nun auf ethnografische Beobachtungen von Asylverfahren sowie auf die Durchsicht juristischer Akten konzentrieren, um zu untersuchen, wie sich Rechtsverfahren auf die öffentliche Gesundheit und die Emanzipation nigerianischer Frauen auswirken. Ihre künftigen Forschungsarbeiten werden auch in Zusammenarbeit mit einer UN-Fachkraft für Menschenhandel sowie dem Programm Safer Cities der UN-HABITAT (Konferenz der Vereinten Nationen über Wohn- und Siedlungswesen) und dem Europäischen Forum für die Urbane Sicherheit in Paris durchgeführt.
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