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Inhalt archiviert am 2024-04-18

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Grenzüberschreitende Allianzen für einen erfolgreichen europaweiten Online-Warenhandel

Nicht alle Internethändler können sich den Versand von Produkten in europäische Länder leisten. Zu den Hindernissen für eine erfolgreiche Expansion zählen unter anderem die Logistik, die Kosten und das Verbrauchervertrauen. Doch wie wäre es, wenn der Einzelhandel grenzüberschreitende Allianzen schmieden könnte? Das Projekt DSMFACIL erforschte das Potenzial solcher Kooperationen.

Digitale Wirtschaft icon Digitale Wirtschaft

Der digitale Binnenmarkt zählt in den kommenden Jahren zu den Prioritäten der Europäischen Kommission. Die Realisierung gestaltet sich jedoch nicht so einfach, wie man denken könnte. Abgesehen von Sprachbarrieren, welche die Verbraucherschaft daran hindern, Käufe über Handelsplattformen im Internet zu tätigen, die in anderen Ländern ansässig sind, ist der Sektor auch mit weiteren Schwierigkeiten konfrontiert. Versandkosten, wenig Verbrauchervertrauen in Bezug auf den Versand und Kundendienst und ein geringes Verbraucherbewusstsein für den ausländischen Einzelhandel sind nur einige der zahlreichen Probleme, die es zu lösen gilt. Um diese Hindernisse zu überwinden, schlägt das Projekt DSMFACIL (Facilitating a digital single market in Europe through cross-border alliances), das mit der Unterstützung durch die Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen durchgeführt wird, grenzüberschreitende Allianzen vor, die für alle beteiligten Partner vorteilhaft sind. Die Projektpartner untersuchten entsprechende Lösungen und legten den Grundstein für deren Umsetzung. Nevin Mutlu, Assistenzprofessor an der Technischen Universität Eindhoven, spricht über die Arbeit des Teams und die potenziellen Auswirkungen auf den digitalen Binnenmarkt.

Welche sind Ihrer Einschätzung nach derzeit die größten Hindernisse für den digitalen Binnenmarkt?

Nevin Mutlu: Es sind mehrere Probleme zu lösen, um den digitalen Binnenmarkt in Europa zu realisieren. Seit der Konzeptualisierungsphase unseres Projekts (im Jahr 2016) hat die Europäische Kommission Rechtsvorschriften verabschiedet, um bedeutende rechtliche Probleme anzugehen, darunter übermäßig komplizierte Umsatzsteuerregelungen für grenzüberschreitende Einkäufe und Geoblocking. Doch ich denke, dass es weitere Herausforderungen zu meistern gilt. Ich halte Geoblocking beispielsweise für ein Symptom eines weitaus größeren Problems: Die meisten Einzelhändler entscheiden sich nicht dazu, Geoblocking einzuführen, weil sie den Handel mit der ausländischen Verbraucherschaft blockieren möchten, sondern weil die Abwicklung solcher Aufträge äußerst kostspielig und unzuverlässig sein kann. Daher glaube ich, dass ein wesentliches Hindernis für den digitalen Binnenmarkt Unterschiede der Länder im Hinblick auf die Logistikinfrastruktur (sowohl in Bezug auf physische als auch nichtphysische Aspekte) sind. Daraus ergeben sich Abwicklungsprobleme bei der grenzüberschreitenden Auftragserfüllung, die sich wiederum auf die Verbrauchernachfrage auswirken und zu einer größeren Fragmentierung des europäischen digitalen Binnenmarkts führen.

Wie untersucht DSMFACIL dieses Thema?

Wir verwenden einen interdisziplinären Ansatz, um nicht nur prädiktive Analysen durch ökonometrische Modelle, sondern auch präskriptive Erkenntnisse zu Optimierungsverfahren für die Lieferkette bereitzustellen. Unsere erste Studie mit Ton de Kok, Sarah Gelper und Faranak Khooban war beispielsweise auf grenzüberschreitende Verbraucherkäufe fokussiert. Wir verwendeten Daten zu Online-Käufen auf individueller Ebene von nahezu 21 000 Verbraucherinnen und Verbrauchern aus 27 EU-Ländern und untersuchten, ob die Unterschiede in der Logistikinfrastruktur tatsächlich zur Fragmentierung des europäischen digitalen Binnenmarkts beitrugen. Noch entscheidender war unser Versuch, herauszufinden, ob die Auswirkungen solcher Unterschiede durch andere Faktoren auf der Makroebene in diesen Ländern wie den wirtschaftlichen Wohlstand, das regulatorische Umfeld oder die Kultur abgeschwächt (oder verschärft) werden könnten. Die Erkenntnisse, die wir aus dieser Studie gewannen, waren essenziell für die Entwicklung realistischer Modelle zur Lieferkettenoptimierung, da sie uns dabei halfen, die Rahmenbedingungen zu ermitteln, unter denen grenzüberschreitende Allianzen erfolgreich sein können.

Da Sie gerade davon sprechen, warum halten Sie grenzüberschreitende Allianzen für eine Lösungsmöglichkeit? Können Sie ein paar Beispiele für erfolgreiche Allianzen dieser Art nennen?

Die Motivation für grenzüberschreitende Allianzen im Einzelhandelssektor geht auf die Luftfahrtindustrie zurück. Aufgrund von Code-Sharing-Verfahren können Fluglinien aus verschiedenen Ländern zusammenarbeiten, um ihr Flugstreckenangebot für die Kundschaft zu erweitern. Der Schlüssel zum Erfolg ist hierbei, die Allianz als vorteilhaft für alle Partner zu erkennen. Die Situation in der Einzelhandelsbranche ist ziemlich ähnlich, obgleich andere Einschränkungen vorliegen. Die Verkehrsinfrastruktur in Europa ist traditionell auf einen großvolumigen Güterverkehr ausgelegt, nicht auf kleine Lieferungen aus dem Internethandel. Eine unzuverlässige Logistik ist ein wesentliches Problem, das zu einer Fragmentierung führt. Bei unserem Projekt untersuchten wir also die Idee grenzüberschreitender Allianzen, bei denen Einzelhändler in ihrem Heimatland ihre eigenen Binnennetze für die effizientere Vermarktung, Lagerung und Versendung von Partnerprodukten nutzen können. Kooperationen zwischen lokalen Einzelhändlern wurden in der Praxis beobachtet. Marks & Spencer arbeitet beispielsweise mit Ocado im Vereinigten Königreich für den Versand seiner Bestellungen zusammen. Der deutsche Einzelhändler Aldi nutzt die Freiflächen in Geschäften von Kohl’s in den Vereinigten Staaten, sodass die Verbraucherschaft ihre Lebensmittel- und Modeeinkäufe mit einem Ladenbesuch kombinieren kann. Es können mehrere weitere erfolgreiche Beispiele aufgeführt werden, die demonstrieren, wie die gemeinsame Verwendung von Ressourcen zwischen Einzelhändlern für alle beteiligten Parteien von Vorteil sein kann. Unsere Studie erforscht, ob solche Mechanismen auf internationalen Märkten funktionieren können.

Welche sind die bislang größten Errungenschaften des Projekts? Was gilt es noch zu erreichen?

Wir haben aufgezeigt, dass die Unterschiede in der europaweiten Logistikinfrastruktur zu einer Fragmentierung beitragen. Die Verbraucherschaft bevorzugt bei ihren grenzüberschreitenden Einkäufen Einzelhändler mit hohen Logistikkapazitäten. Unsere Erkenntnisse zeigten jedoch, dass verbesserte Logistikkapazitäten nicht immer zu umfassenderen grenzüberschreitenden Verkäufen führen, und dass das jeweils geltende Landesrecht im Einzelhandel ein wichtiger Faktor für die Nachfrage aus dem Ausland ist. Die Verbraucherschaft ist bei Einkäufen aus Ländern, in denen es keine vertrauenswürdigen Regelungen gibt, wirklich zögerlich, ganz gleich, wie gut die logistische Leistung ist. Die potenziell komplementäre Natur dieser beiden Aspekte (Logistik und Recht) in der politischen Entscheidungsfindung wird somit unterstrichen und betont, dass staatliche Investitionen und Strategien, die auf ein Problem ausgerichtet sind, möglicherweise nicht die Mängel des anderen Problems wettmachen. Unsere Erkenntnisse liefern auch wichtige Einblicke für Einzelhändler, die nach geeigneten Standorten suchen und versuchen, Partner zu ermitteln, mit denen grenzüberschreitende Allianzen funktionieren könnten. Wir sind momentan damit beschäftigt, die genauen Auswirkungen solcher Kooperationen auf die gegenseitig vorteilhaften Einnahmen/Kostenbeteiligungssysteme solcher Einzelhändler zu analysieren. Wir glauben, dass in diesem Bereich eine Menge Forschungspotenzial steckt.

In Zeiten von COVID-19 hat sich das Konzept des lokalen Einkaufs zu einem handelsüblichen Vermarktungsargument entwickelt. Wie ist diese Entwicklung mit Ihrer Arbeit vereinbar?

Ein lokaler Einkauf sorgt durch weniger Verkehr für Umweltschutz und für die Unterstützung der lokalen Volkswirtschaft. Er kann eine gute Alternative für landwirtschaftliche Erzeugnisse sein, doch nicht alles ist lokal erhältlich. Letztlich könnte es sogar umweltfreundlicher sein, Waren an Orten herzustellen, an denen Rohstoffe ohne Weiteres verfügbar sind oder an denen mehr erneuerbare Energie eingesetzt wird. Unter solchen Bedingungen könnte ein Mehr an Verkehr gerechtfertigt sein. Da nicht alles lokal zugänglich ist, ist unser Projekt darauf fokussiert, grenzüberschreitende Handelsströme im Internetverkehr effizienter zu gestalten, indem Ressourcen wie Vertriebszentren oder Lieferungen bis vor die Haustür gemeinsam verwendet werden. Auf diese Weise können Allianzen die Umwelt unterstützen. Durch die Entwicklung eines vorteilhaften Mechanismus zwischen Einzelhändlern zielen wir zudem nicht nur auf die Schaffung eines Wettbewerbsumfelds ab, in dem inländische und ausländische Einzelhändler gegeneinander konkurrieren. Sie können auch zusammenarbeiten.

Welche Langzeitauswirkungen erhoffen Sie sich vom Projekt?

Als öffentlich finanziertes Projekt ist es unser aufrichtiges Ziel, aus unserer Arbeit einen Nutzen für die europäische Gesellschaft zu schöpfen. Die Realisierung sehe ich durch die politische Gestaltung und Effizienzgewinne in der Einzelhandelslogistik. Auf lange Sicht hoffe ich, dass unsere Erkenntnisse zu mehr Beteiligung am grenzüberschreitenden elektronischen Handel in Europa beitragen werden, was direkt dem Einzelhandel, der seine Märkte erweitert, und der Verbraucherschaft, die von einer größeren Vielfalt an Gütern und Dienstleistungen profitiert, zugutekommen wird. Damit wird hoffentlich die Grundlage für Anreize in puncto Innovationen und Preisrückgänge aufgrund eines erhöhten Wettbewerbs schaffen.

Schlüsselbegriffe

DSMFACIL, Online-Warenhandel, elektronischer Handel, digitaler Binnenmarkt, grenzüberschreitende Allianz, Einzelhandel