Wie Mundpropaganda dazu beitragen kann, die globale Erwärmung zu begrenzen
„Wir alle spielen eine Rolle.“ Im September 2020 veröffentlichten die 108 Bürgerinnen und Bürger des Vereinigten Königreichs, die die erste Klimaversammlung des Landes bildeten, die Schlussfolgerungen ihrer sechsmonatigen Überlegungen, wie die Treibhausgasemissionen bis 2050 unter dem Strich auf Null reduziert werden können. Über die Vorschläge hinaus fällt insbesondere ein Aspekt auf. Während eine klare Regierungsführung erforderlich ist, ist ein von den Verbraucherinnen und Verbrauchern gesteuerter Wandel ebenso bedeutsam. Eines der Phänomene, die einen solchen Wandel vorantreiben, ist der soziale Einfluss. „Wir wissen seit den 1950er Jahren, dass sozialer Einfluss wichtig ist, um neue Ideen zu verbreiten“, sagt Charlie Wilson, Professor am Tyndall Centre für Klimaforschung. „Es wurde durch Tausende von Studien bestätigt und im Buch ‚Diffusion of Innovations‘ von Everett Rogers zusammengefasst. Dieses Buch beschreibt die vier wesentlichen Faktoren, die benötigt werden, um zu verstehen, wie und warum sich neue Ideen verbreiten: Heterogenität der Anwenderinnen und Anwender (Unterschiede zwischen den Motivationen der Menschen), Informationsübertragung (wie sich die Information verbreitet), soziale Netzwerke und Innovationsattribute (inhärente Eigenschaften des Produkts).“ Unbekannt ist jedoch noch, inwiefern diese Mechanismen für die Verbreitung potenziell disruptiver, CO2-armer Innovationen in vielen verschiedenen Kontexten gelten. Welche Rolle spielt nun der soziale Einfluss? Um dies herauszufinden, initiierte Wilson 2016 das vom Europäischen Forschungsrat unterstützte Projekt SILCI. „Ich wollte mich darauf konzentrieren, wie wir alle als Verbraucherinnen und Verbraucher von Waren und Dienstleistungen unseren Beitrag leisten können. Über drei Viertel der globalen Kohlenstoffemissionen sind darauf zurückzuführen, wie wir leben, wie wir uns bewegen, wie wir essen und wie wir mit Energiesystemen interagieren“, erklärt er.
Der soziale Einfluss in Bezug auf den Klimawandel
Der Ansatz von SILCI kann in drei Schritte unterteilt werden. Zunächst untersucht das Team potenziell disruptive Innovationen in den Bereichen Mobilität, Ernährung, Wohnen und Energie. Anschließend ergänzt es diese Analyse mit tiefgehenden Fallstudien zu spezifischen Innovationen in jedem dieser Bereiche. Schließlich integrieren die Projektmitglieder einige ihrer neuen empirischen Erkenntnisse in komplexe Simulationsmodelle der globalen Energie- und Landnutzungssysteme, um die Auswirkungen auf das Klima zu ermitteln. „Ziel ist es, die möglichen kurz- und langfristigen Klimaauswirkungen von Verbraucherinnovationen zu untersuchen. Das war besonders spannend. Wir konnten zeigen, dass unter bestimmten Voraussetzungen die rasche Einführung digitaler Verbraucherinnovationen dazu beitragen könnte, die Erwärmung auf 1,5° C zu begrenzen, ohne sich dabei auf äußerst kostspielige und riskante Negative-Emissionen-Technologien verlassen zu müssen“, beschreibt Wilson. Das SILCI-Team hat auch belegt, dass Mundpropaganda und sozialen Normen bei der Verbreitung des Bewusstseins für CO2-arme Innovationen und die Erfahrungen damit (Informationsübertragung) zu verbreiten. Darüber hinaus hat das Projekt SILCI die Merkmale erfolgreicher, CO2-armer Innovationen, wie beispielsweise von Fahrradverleihsystemen, ermittelt. Zu diesen Merkmalen gehören Komfort, Flexibilität bei der Auswahl, Personalisierung und die nutzungsbasierte Abrechnung (Innovationsattribute). In Bezug auf die Heterogenität der Anwenderinnen und Anwender stellte das Team fest, dass die sogenannten ‚Early Adopter‘ (die frühzeitigen Anwenderinnen und Anwender) in drei Gruppen unterteilt werden können: Menschen mit dem Persönlichkeitsmerkmal Neuheitssuche (‚Novelty-Seekers‘), Technikbegeisterte und umweltbewusste Anwenderinnen und Anwender. Auch soziale Netzwerke sind wichtig: „Wir haben festgestellt, dass Menschen, die sich nicht nur auf einen sehr beschränken Personenkreis konzentrieren und über vielfältigere soziale Netzwerke mit einer größeren Anzahl starker sowie schwacher sozialer Verbindungen verfügen, eher CO2-arme Innovationen übernehmen“, beschreibt Wilson. Das Team hat bereits jeweils 3 000 Menschen im Vereinigten Königreich und in Kanada befragt, um Personen, die sechzehn verschiedene CO2-arme Innovationen in Bezug auf Mobilität, Ernährung, Wohnen und Energie anwenden bzw. nicht anwenden zu differenzieren. Eine erneute Umfrage soll in Kürze starten, um Veränderungen im Laufe des Jahres 2020 zu ermitteln. Anschließend sollen die wissenschaftlichen Erkenntnisse in umfassende Empfehlungen für politische Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger, Dienstleistende und andere Interessengruppen umgesetzt werden. „Sozialer Einfluss ist ein potenziell sich selbst verstärkender Mechanismus: Je mehr wir von einer CO2-armen Innovation hören, desto wahrscheinlicher ist es, dass wir sie ausprobieren. Je mehr wir sie ausprobieren, desto häufiger werden wir wahrscheinlich anderen davon erzählen. Je häufiger wir anderen davon erzählen, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie es auch ausprobieren“, so Wilson abschließend. Dank SILCI verstehen wir jetzt viel besser, wie diese Schneeballeffekte für CO2-arme Innovationen erfolgreich genutzt werden können.
Schlüsselbegriffe
SILCI, Mundpropaganda, Klimawandel, CO2-arm, Innovation, sozialer Einfluss