Hirnerkrankungen erneut auf dem Prüfstand
Hirnerkrankungen, einschließlich Entwicklungsstörungen, psychiatrische und neurodegenerative Krankheiten, stellen eine enorme Belastung dar, sowohl in Bezug auf das Leiden des Menschen als auch im Hinblick auf die wirtschaftlichen Kosten. Viele Hirnerkrankungen sind chronisch und unheilbar. Sie können mit Behinderungen einhergehen, die Jahre oder sogar Jahrzehnte andauern. Dies bedeutet, dass die gesamte Krankheitslast sehr viel größer ist, als die Sterblichkeitszahlen allein vermuten lassen. Kürzlich prognostizierte eine aktuelle Studie des European Brain Council (EBC), dass die Kosten für Störungen wie Depressionen, Angst, Schlaflosigkeit und Demenz weiter ansteigen werden, da die Menschen länger leben. Deshalb ist dies auch die größte wirtschaftliche Herausforderung für die europäischen Gesundheitssysteme. Die Hirnforschung wird durch das Siebte Rahmenprogramm (RP7 2007-2013) unterstützt, welches eine Aktivität zur "Hirnforschung und verwandte Erkrankungen" unter dem Themenbereich "Gesundheit" umfasst. Der Schwerpunkt dieser Aktivität liegt auf der translationalen Forschung, bei der es um die Übertragung von Grundlagenforschung in klinische Anwendungen geht. In den ersten fünf RP7-Aufforderungen zur Vorschlagseinreichung wurden 39 Projekte im Rahmen dieser Maßnahme für insgesamt 194 Mio. EUR finanziert. Eines dieser Projekte ist Paradise (Psychosocial fActors Relevant to brain DISorders in Europe). Das Ziel von Paradise ist die Entwicklung und Erprobung eines neuen innovativen Ansatzes, indem klinische Daten über die möglichen psychosozialen Schwierigkeiten von Menschen mit Hirnerkrankungen erhoben werden. Obwohl es aussagekräftige Hinweise dafür gibt, dass die persönlichen, sozialen und wirtschaftlichen Kosten von Gehirnerkrankungen hoch sind, glaubt das Paradise-Konsortium, dass diese Kosten bisher unterschätzt wurden. Die Ursache liegt am Datenmangel. Diese Störungen wurden nach diagnostischen Kriterien definiert, die nicht die vollständige Palette der psychosozialen Probleme umfasst, die die gelebte Erfahrung von Personen mit diesen Erkrankungen prägen. In der Tat werden die aktuellen europäischen Daten über psychosoziale Probleme aus den diagnostischen Kriterien der einzelnen Krankheiten abgeleitet und nehmen so die Form von schmalen "Informationssilos" an, die weder vollständig sind noch einen Vergleichswert besitzen. Mit Informationssilo ist gemeint, dass die Behandlungsplanung, Therapie- und Ergebnisbewertung die Gemeinsamkeiten der psychosozialen Folgen bei den verschiedenen Störungen ignoriert und damit die Effizienz und Wirksamkeit der Behandlung untergräbt. Und schließlich führt dies zu einer Kostensteigerung bei den Gesundheits- und Pflegediensten. Bei dem neuartigen Ansatz, den dieses Projekt verfolgt, werden diese Schwierigkeiten nicht an die spezifische Diagnose des Gesundheitszustands gebunden, sondern sie werden als Probleme angesehen, die Menschen mit sehr unterschiedlichen Hirnerkrankungen teilen - das Projekt befasst sich mit Demenz, Depression, Epilepsie, Migräne, Multiple Sklerose, Parkinson, Schizophrenie, Schlaganfall und mit Suchtmittelgebrauch zusammenhänge Krankheiten. Wenn dies tatsächlich der Fall sein sollte, dann könnte diese neue Art der Informationssammlung die Organisation und Bereitstellung von ärztlichen Dienstleistungen für Menschen mit Hirnerkrankungen in Europa erheblich beeinflussen und zur Verbesserung ihres Lebens und ihrer Lebenschancen beitragen. Um diesen Ansatz zu testen, wählte das Projekt einen repräsentativen und heterogenen Stichprobensatz aus, der verschiedene Krankheiten umfasste: Demenz, Depression, Epilepsie, Migräne, Multiple Sklerose, Parkinson, Schizophrenie, Schlaganfall und Suchtmittelabhängigkeit. Auf der Grundlage einer systematischen Literaturrecherche für jede der neun Gehirnerkrankungen, Patientengruppen und Interviews und der umfangreichen Beiträge von klinischen Experten, identifizierte Paradise markante Schwierigkeiten, die bei einer Reihe dieser Krankheiten auftreten. Diese Information wurde dann für den Entwurf eines Datenerfassungstools, Paradise-Protokoll genannt, verwendet, das harmonisierte Daten mit einer kohärenten konzeptionellen Grundlage sammelt und vergleichbare Daten aller Hirnerkrankungen erstellt. Mit diesem Tool wurde eine Metrik der psychosozialen Schwierigkeiten erstellt. Darüber hinaus bestätigen die Ergebnisse, dass psychosoziale Probleme Hindernisse darstellen, die Menschen mit diesen Krankheiten in ihrem Leben begegnen - und diese Hindernisse begrenzen ihre Integration in und die volle Teilhabe an der Gesellschaft. Das übergeordnete Ziel des Projekts ist es, ein Protokoll mit 24 Fragen zu psychosozialen Schwierigkeiten aufzustellen, aus denen Patientenprofile erstellt und diese miteinander verglichen werden können. Das Paradise-Protokoll wird zusammen mit den gesammelten harmonisierten Daten einen Beitrag zu einer zukünftigen europäischen Strategie für Gehirnerkrankungen leisten. Grundsätzlich hat das Projekt gezeigt, dass es Menschen mit Hirnerkrankungen vor allem darum geht, die psychosozialen Probleme zu bewältigen, wie Mobilität, Teilnahme an gesellschaftlichen Aktivitäten oder einfach nur die Verrichtung alltäglicher Aktivitäten. Viele dieser Schwierigkeiten lassen sich nicht mit rein medizinischen Eingriffen angemessen behandeln, sondern erfordern ergänzende psychologische und soziale Eingriffe. Die von Paradise verwendete Methode sollte daher mehr zu einer wirksameren Planung der Eingriffe und des Managements führen, und damit zu einer verbesserten Lebensqualität für Menschen mit Hirnerkrankungen.Weitere Informationen sind abrufbar unter: PARADISE http://paradiseproject.eu/