Kollaborative Daten unterstützen die Erweiterung des Wissens über das Gehirn
Der Begriff „Abbildung“ des menschlichen Gehirns wird der Sache jedoch nicht ganz gerecht. Das Gehirn ist zum Beispiel im Gegensatz zur Leber, welche weniger Zelltypen enthält, die im gesamten Organ ähnlich organisiert sind, sehr inhomogen und weitaus komplizierter. Dadurch werden nicht nur die Beschreibung und Lokalisierung unerlässlich, auch Interaktionen müssen zwingend erfasst werden. Angesichts der Größenordnung und des Umfangs des HBP ist das breite Spektrum des verfügbaren Fachwissens ein Alleinstellungsmerkmal. Das ist wiederum entscheidend, da Ergebnisse auf produktiven Interaktionen zwischen den sehr mannigfaltigen Forschungs- und Entwicklungsgemeinschaften basieren und nicht erreicht werden könnten, würde man in Isolation arbeiten. „Diese Interaktionen stellen Herausforderungen dar, denen andere europäische Projekte wahrscheinlich nicht in diesem Umfang begegnet sind“, sagt Prof. Jan Bjaalie. „Einige Hürden sind auf die unterschiedlichen Praktiken zurückzuführen, da jeder aus seinem Fachgebiet andere Traditionen einfließen lässt. Außerdem gibt es terminologische Barrieren. Diese Hindernisse verdeutlichen die Gründe für das HBP und unterstreichen gleichzeitig, wie wichtig eine gute Dateninfrastruktur ist.“ Die Entwicklung eines generischen Datensystems Die Neurowissenschaft verwaltet und tauscht Daten in der Regel nicht in einem so großen Umfang wie beim HBP aus. Das liegt zum Teil darin begründet, dass ihr Schwerpunkt bisher auf der Veröffentlichung von Abhandlungen lag, die gesammelte Daten interpretieren. Damit sich das HBP in allen Bereichen der Neurowissenschaft auf Forschungssynergien konzentrieren kann, müssen die Projektdaten jedoch kollaborativ sein. Die Daten werden zusammen mit Metadaten-Tags gespeichert und können mithilfe eines Webbrowsers durchsucht werden. Spezifische Funktionen bei bestimmten Datengruppen können extrahiert und somit in computergestützte Modelle eingebunden werden, mit denen anschließend Simulationen durchgeführt werden können. Die Ergebnisse lassen sich dann mit Daten aus realen Experimente am Gehirn vergleichen. „Infrastrukturentwicklungen gehen Hand in Hand mit der Wissenschaft, wodurch Forscherinnen und Forscher relevante Daten finden und abrufen, unter eindeutig definierten Bedingungen verwenden, die Ergebnisse veröffentlichen und auf die Arbeit der ursprünglichen Datenanbieter verweisen können“, so Prof. Bjaalie. Der Umfang der einbezogenen Daten kann nur bewältigt werden, weil Hochleistungsrechnen zum Einsatz kommt. Neue Technologien und klinische Anwendungen Die drei vorrangigen Ziele des HBP sind: ein besseres Verständnis davon zu gewinnen, wie die verschiedenen Elemente des menschlichen Gehirns zusammenpassen und -arbeiten (Grundlagenwissenschaft), die entsprechenden Erkenntnisse in eine bessere Diagnose und Behandlung von Hirnerkrankungen umzuwandeln (angewandte Gesundheitswissenschaft) und sie außerdem für die Entwicklung neuer Technologien für das Gehirn zu nutzen (Technologie). Innerhalb dieser umfassenden Ziele lassen sich die Forschungsgruppen von einigen übergeordneten Forschungszielen leiten. Demenz, insbesondere die Alzheimer-Krankheit, wurde ausgewählt, um die Funktionsweise der Medical Informatics Platform zu demonstrieren, die in europäischen Krankenhäusern installiert ist. Eine Kombination dieser anonymisierten klinischen Daten ermöglicht eine effizientere Analyse. Ein weiteres Beispiel ist die Verwendung von dreidimensional navigationsfähigen personalisierten Gehirnmodellen und -atlanten für verschiedene Anwendungen, zum Beispiel eine bessere Planung der Epilepsiechirurgie oder die Tiefenhirnstimulation bei Parkinson. Zur Bestimmung und Resektion von kleinen Teilen des Gehirns, in denen epileptische Anfälle hervorgerufen werden, ist ein gründliches Verständnis der Abläufe eines Anfalls notwendig. Um diese Verfahren zu verbessern, kombiniert das HBP eine neue mehrskalige Modellierungs- und Simulationsumgebung mit den Gehirnatlanten des Projekts und anderen Datenanalysewerkzeugen. Damit die Ziele des HBP erreicht werden können, müssen seine Systeme einer breiteren Forschungsgemeinschaft zur Verfügung gestellt werden. Noch dieses Jahr wird ein neues Online-Portal veröffentlicht, das Zugang zu zahlreichen nutzerorientierten Diensten bietet. „Einige Informationen sind zwar bereits vorhanden, sie sind jedoch nicht so sichtbar oder einfach zu durchsuchen. Durch das neue Portal können auch Personen außerhalb der Forschungsgemeinschaft problemlos die Werkzeuge und Dienste finden und nutzen, die das HBP bietet“, sagt Prof. Bjaalie.
Schlüsselbegriffe
Human Brain Project, HBP, Neurowissenschaft, Daten, Simulation, Modell, Gehirn, Atlas, Erkrankung, Infrastruktur, Epilepsie, Demenz