Neuronale und verhaltensbezogene Nachweise, dass Jugendliche soziale Informationen strategisch einsetzen
Die Adoleszenz ist eine Zeit der gesunden „Trennung“ von den Eltern als Vorbereitung auf das Erwachsensein. Sie geht damit einher, sich zunehmend auf die Informationen Gleichaltriger zu verlassen. Die übergroße Rolle von Gleichaltrigen bei der Entscheidungsfindung wird schon lange erforscht. Durch den exponentiellen Anstieg der Nutzung sozialer Medien ist es noch wichtiger zu verstehen, wie Jugendliche Informationen erhalten, filtern und nutzen. Die meisten Studien beruhen auf Längsschnittbeobachtungen und künstlichen Laborversuchen. Im bahnbrechenden ERC-finanzierten Projekt Social Smart (Website auf Niederländisch), wurde ein „mobiles Labor“ aufgestellt – ein Van mit der Technologie, sozialpsychologische Versuche durchzuführen. So wurden hochmoderne Verhaltensexperimente in Schulen getragen, um die Verbreitung des Einflusses in realen sozialen Netzen von gleichaltrigen zu erfassen. Die Versuche wurden durch neuronale Bildgebung und computergestützte Modellierung ergänzt.
Einfaches persönliches Werkzeug und computergestützte Modelle
Wouter van den Bos von der Universität Amsterdam, der Koordinator von Social Smart, erklärt: „Bei der Berlin Estimate AdjuStment Task (BEAST) werden Teilnehmende aufgefordert, ein wahrnehmungsbasiertes Urteil zu fällen, zum Beispiel die Anzahl von Objekten in einem Bild zu schätzen. Sie können ihre Entscheidung anhand des sozialen Feedbacks ändern. So wird erfasst, wie das eigene Wissen mit sozialen Informationen abgewogen wird.“ Durch die COVID-19-Pandemie, die zu Beginn des Projekts aufkam, war es zeitweise unmöglich, Daten in Schulen zu erheben. Zufälligerweise spornte dies das Team an, die computergestützten Modelle anzupassen und auf reale Daten aus sozialen Medien wie Instagram-Beiträgen und Engagement-Metriken anzuwenden. Das war eine unerwartete Chance, die Ergebnisse und Erkenntnisse aus Social Smart zu bereichern.
Selektive Beeinflussung durch Gleichaltrige durch strategische Einholung sozialer Informationen
„Bisher wurden Jugendliche oft als passive Empfänger des sozialen Einflusses dargestellt. Unsere Forschung hat gezeigt, dass Jugendliche aktiv Informationen suchen und strategisch ausgehend von Expertise, Beliebtheit und persönlicher Beziehung entscheiden, wem sie vertrauen“, betont van den Bos. Ferner vertrauen Jugendliche sozialen Informationen eher, wenn die Zuversicht in das eigene Wissen fehlt. Sie berücksichtigten aber auch die Sicherheit bzw. den Wissensstand der Quelle. Durch Analysen der Online-Daten in sozialen Medien konnten erste direkte computergestützte Vergleiche des Engagements mit sozialen Medien zwischen Jugendlichen und Erwachsenen aufgestellt werden. Die Ergebnisse der Computermodelle, Versuche und Neurobildgebung enthalten Anzeichen, dass Jugendliche sich in der Anfälligkeit für sozialen Einfluss von Erwachsenen unterscheiden. „Die Veränderungen im Gehirn während der Adoleszenz mache junge Menschen empfänglicher für soziale Belohnungen wie ‚Likes‘, aber auch fähiger zu komplexem sozialem Lernen“, erklärt van den Bos.
Faktoren zur Anregung von positivem Einfluss
In Anbetracht des Projektnamens war van den Bos sehr erfreut, dass die Jugendlichen relativ „smart“ sind und soziale Informationen strategisch einholen und nutzen. Das wird mit der zunehmenden Auseinandersetzung online sowie Fehl- und Desinformation immer wichtiger. „Wir können Jugendlichen helfen, vertrauenswürdige soziale Quellen zu erkennen, indem wir sie zu aktivem Hinterfragen und kritischer Betrachtung ermutigen. Das könnte wirksamer sein als restriktive Maßnahmen oder Warnungen über Gruppenzwang, um den negativen Einfluss zu schwächen und die Entscheidungsfindung zu stärken“, sagt er. Mit einflussreichen Schülerinnen und Schülern und „Influencern“ kann auch positives Verhalten wie gute Lerngewohnheiten und prosoziales Verhalten gefördert werden. Verschiedene Versionen der BEAST-Aufgaben wurden bereits eingesetzt in: dem mobilen Labor, bei Studien mit Neurobildgebung, bei Projekten der Bürgerwissenschaft in Museen in Deutschland, den Niederlanden und Japan und im deutschen Sozio-ökonomischen Panel, einer großen, langfristigen Haushaltsbefragung. „Wir vermuten, dass viele weitere Studien auf unserem einfachen Protokoll beruhen werden, sodass wir den sozialen Einfluss bei der Entscheidungsfindung zwischen den Generationen und Kulturen in realen sozialen Netzwerken vergleichen können“, schließt van den Bos.
Schlüsselbegriffe
Social Smart, Jugendliche, soziale Informationen, soziale Medien, Entscheidungsfindung, sozialer Einfluss, soziale Netzwerke, Computermodelle, Neurobildgebung, Einfluss von Gleichaltrigen