Die Kulturen der Arktis erforschen
Da die Arktis aufgrund des Klimawandels weiter auftaut, rückt die Region zunehmend in den Blickpunkt. Durch die weltweiten geopolitischen Spannungen nehmen die Streitigkeiten über die Gewinnung von Ressourcen und territoriale Ansprüche zu. Allerdings wurde den Kulturen der Arktis und den Kräften, die unser Verständnis von ihnen im Laufe der Geschichte geprägt haben, wenig Aufmerksamkeit geschenkt. „Die Arktis wird mindestens seit dem sechzehnten Jahrhundert von Interessengruppen aus der Ferne bestimmt. Dies führte zu einer vorherrschenden Darstellung der Region als kalt, abgelegen, feindlich, schwierig, entrückt und vielen anderen Klischees“, erklärt Richard Powell, Direktor des Scott Polar Research Institute an der Universität Cambridge. Viele frühe europäische und amerikanische Forschungsreisende wussten, dass sie bewohnt war. Sie verließen sich auf die geografischen Kenntnisse, Übersetzungen und Karten der Einheimischen. Trotzdem wurde die Arktis immer wieder als „Naturraum“ dargestellt, in dem es keine Kultur und keine Menschen gibt. Vor diesem Hintergrund wurde das vom Europäischen Forschungsrat finanzierte Projekt ARCTIC CULT, ins Leben gerufen, um die Gründe für diese kulturelle Sichtweise zu analysieren. Ein multidisziplinäres Forschungsteam untersuchte, wie diese Sichtweise durch die Kontakte zwischen den Entdeckungsreisenden der Region und der Urbevölkerung des 16. Jahrhunderts entstanden ist.
Weltweite Museumsuntersuchungen
Das Projektteam suchte nach Texten, Karten und kulturellen Objekten, die in der Arktis gesammelt und an Museen und andere Einrichtungen in Städten auf der ganzen Welt verschickt wurden. Die Idee bestand darin, die Einflüsse auf die Arktis durch das Aufkommen kolonialer Museumskulturen und die westliche Moderne herauszuarbeiten. Das Projekt ARCTIC CULT lief über sieben Jahre und wurde von einem mehrsprachigen Team aus 10 Mitgliedern in Archiven, Museen und Bibliotheken in ganz Europa, Nordamerika und der Arktis durchgeführt. „Wir haben unter anderem in Kopenhagen, Berlin, Montreal, Pittsburgh, Nuuk und Qaanaaq gearbeitet“, kommentiert Powell. „Wir haben Geschichten und Objekte in verschiedenen Sammlungen und Archiven aufgespürt und dabei Verbindungen hergestellt, die vorher nicht möglich waren“, fügt er hinzu.
Verbindungen zwischen modernen wissenschaftlichen und indigenen Ideen aufdecken
Die wichtigste Erkenntnis lautete, wie tief dieses Bild der Arktis verwurzelt ist und wie es sich entwickelt hat. „Es war selbst für uns überraschend, wie sehr unser wissenschaftliches und exploratives Wissen von den Gedanken, Praktiken und Tätigkeiten der Einheimischen abhängt“, bemerkt Powell. Die Forschungsarbeiten führten zu einer Reihe von Veröffentlichungen in internationalen Fachzeitschriften, in denen die Verbindungen zwischen kolonialen Entdeckungen und indigenem Wissen und Kartografie ausführlich dargestellt werden. Die Projektarbeit wurde der Öffentlichkeit auch durch die Eröffnung der Ausstellung „Arctic Cultures: Collections and Imaginations“ (Arktische Kulturen: Sammlungen und Vorstellungen) präsentiert, die im Januar 2024 im Polarmuseum im Scott Polar Research Institute an der Universität Cambridge eröffnet wurde.
Verbindungen zum aktuellen politischen Diskurs
Das Projektteam scheint in Anbetracht des jüngsten globalen Diskurses besonders vorausschauend gewesen zu sein. „Selbst in den letzten Monaten wurde über die Zukunft von Teilen der Arktis, insbesondere Grönlands, in aller Deutlichkeit gesprochen“, so Powell. „Ironischerweise lautet das Motto der aktuellen Außenpolitik Grönlands: ‚Nichts über uns, ohne uns.‘ Und doch wurden in den letzten Tagen Behauptungen über die künftigen Eigentumsverhältnisse, die wirtschaftlichen Ressourcen und die Sicherheit Grönlands aufgestellt, ohne dass etwas über den Ort oder die Menschen, die dort leben, bekannt war“, stellt er fest. Nach Meinung von Powell ist das vor allem auf die vorherrschende Sichtweise auf die Arktis zurückzuführen. „Die Ergebnisse des Projekts Arctic Cultures schaffen hier Abhilfe“, fügt er hinzu.
Schlüsselbegriffe
ARCTIC CULT, Kulturen, kolonial, Museen, Natur, Text, Kartographie, Grönland