Die Zeiten ändern sich im mittelalterlichen Italien
Mittelitalien zwischen dem 6. und 10. Jahrhundert ist eines der wichtigsten politischen und sozialen Laboratorien in Europa. Finanziert über die Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen wurden im Projekt InAndAround Zusammenhänge zwischen Mensch und Umwelt sowie Mensch und Klima in Italien sowie die Auswirkungen auf Migrationsströme erforscht. Dieser Zeitraum hat in akademischen Kreisen bisher wenig Beachtung gefunden. Die Forschung beruhte auf zwei Datenquellen in den Mikroregionen Lucca und Rieti. Dabei wurden kürzlich gewonnene Langzeit-Klimaaufzeichnungen mit hoher Auflösung aus Seesedimentkernen mit schriftlichen Aufzeichnungen aus den Archiven von Lucchese kombiniert. Dazu gehören der Verkauf oder die Schenkung von Grundstücken, Miet- und Pachtverträge, Streitigkeiten und deren Beilegung.
Übergang von Wald zu Anbau und Weide
Die Sedimentkerne lassen auf zwei Zeitzonen schließen. Die erste ist durch einen allmählichen Rückgang von Waldarten und immer mehr Weiden-, Gras- und Eichenarten geprägt. Annamaria Pazienza, Marie-Curie-Stipendiatin und Hauptforscherin, kommentiert: „Das fällt interessanterweise in die gleiche Zeit wie die Endphase des römischen Zeitalters. Anders als bisher angenommen lässt die Flora nicht auf eine großflächige Entwaldung durch die Römer schließen, denn in den Kernen aus dem Sibolla sind zunehmend Eichen und andere Weidenarten anstelle von mesischen Wäldern zu erkennen“, berichtet Pazienza. Nach dieser ersten Phase hat sich die Vegetation von vorherrschenden Wäldern zu einer kultivierten Landschaft gewandelt. „Das kann mit Sicherheit auf die neue Art unter Karolingischer Herrschaft zurückgeführt werden, die Landschaft zu nutzen, und auch die zunehmend strenge Kontrolle ländlicher und menschlicher Ressourcen durch die lokalen weltlichen und kirchlichen Herren“, erklärt Pazienza.
Instrumente zur Analyse der Seesedimente verfeinern
Die neuen Klimadaten wurden hauptsächlich durch eine Analyse der Sauerstoff- und Wasserstoffisotope in den Seesedimenten gewonnen. Aufgrund der Unsicherheit bei Klimarekonstruktionen auf der Grundlage von Pollen und Sporen hat Adam Csank, Professor und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Nevada, eine relativ neue Methode getestet. Csank verwendete das Isotop delta-O-18 aus Karbonaten. Schwankungen von delta-O-18 in sauerstoffhaltigen Mineralien wurden als Indikatoren für verschiedene Umweltdaten verwendet. Die Ergebnisse entsprechen der Rekonstruktion regionaler Niederschläge mittels delta-O-18 aus Mineralvorkommen aus der Renella-Höhle, die etwa 50 km von den Bohrstellen am Sibolla entfernt liegt. „Solange die Forschung vorangeht und die Klimadatensätze ausgeweitet werden, wird die räumliche und zeitliche Charakterisierung genauer. Die neuen Langzeit-Klimaaufzeichnungen mit hoher Auflösung des Sibolla von InAndAround sind ein erheblicher Beitrag zu diesem Umfang“, schließt Pazienza.
Anzeichen für neue wirtschaftliche und politische Prioritäten in Aufzeichnungen
Die Aufzeichnungen aus Lucca sind mit etwa 13 000 Dokumenten über die zwei Zeiträume hinweg vermutlich die größte Sammlung historischer Archivquellen in Italien. Zusammengenommen geht aus den Aufzeichnungen ein verändertes Muster der Bodennutzung hervor. Die Einführung neuer Ortsnamen lässt zum Beispiel auf ein großes Steuergebiet nahe des Sibolla schließen. Ein solcher lombardischer Begriff, „gualdus/cafagium“, bedeutet zum Beispiel Waldreservat des Königs. Im Vergleich mit Rechtstexten wird klar, dass dieser Ort als Weidefläche (hauptsächlich für Schweine) und sogar als Ackerfläche genutzt wurde.
Herausforderungen und Zukunft der Paläontologie
Das InAndAround-Projekt war im Kern interdisziplinär, sodass verschiedene Begrifflichkeiten, Skalen, Forschungsfragen und Perspektiven sowie ein Mangel an geeigneten epistemologischen Mitteln zu fehlerhaften Deutungen führen können. „Im Projekt sollen übermäßig vereinfachte Erklärungen von komplexen soziokulturellen Phänomenen, bei denen anthropogene und klimatische Faktoren nichtlinear zusammenwirken, überarbeitet werden“, betont Pazienza. Die Ergebnisse von InAndAround werden einen bedeutenden Beitrag zu neuen Erkenntnissen zu den Zusammenhängen zwischen Klima-/Umweltveränderungen, soziopolitischen/wirtschaftlichen Zufällen und Migrationsströmen in diesem historischen Kontext darstellen. Die Aktivitäten aus dem InAndAround-Projekt können in einem informativen Video hier angesehen werden.
Schlüsselbegriffe
InAndAround, Klima, Italien, Sedimentkerne, Siedlung, frühes Mittelalter, Sibolla, menschlicher Einfluss, Vegetation