Individuelle Behandlung von Eierstockkrebs mithilfe digitaler Zwillinge
Krebs ist von Natur aus eine komplexe Erkrankung. Es bestehen erhebliche Unterschiede, nicht nur zwischen den Erkrankten, sondern auch innerhalb der einzelnen Tumore. Diese Variabilität führt häufig zu unterschiedlichen, unerwarteten Reaktionen auf die Behandlung und erschwert die klinische Behandlung dieser Krankheit. Standardisierte Therapien, die bei homogenen Erkrankungen gut funktionieren, sind bei derart komplexen Krebserkrankungen häufig nicht ausreichend. In diesem Zusammenhang hat sich die personalisierte Medizin als besonders vielversprechender Ansatz herauskristallisiert, bei dem die Behandlungen auf die einzigartige biologische Beschaffenheit jeder betroffenen Person zugeschnitten werden. Trotz ihres anerkannten Potenzials bleibt die klinische Anwendung der personalisierten Medizin allerdings wegen der Komplexität und der hohen Kosten im Vergleich zur Standardbehandlung begrenzt.
Personalisierte Medizin im Einsatz
Im Rahmen des über die Marie-Skłodowska-Curie Maßnahmen unterstützten Projekts ITHACA wurden wichtige Schritte unternommen, um das Potenzial der personalisierten Medizin auszuschöpfen und die Behandlungsergebnisse für Patientinnen mit Eierstockkrebs zu verbessern. Das fortgeschrittene seröse Ovarialkarzinom zeichnet sich durch niedrige Überlebensraten, hohe Rezidivraten und häufige Arzneimittelresistenz aus. Das Projekt sollte verdeutlichen, wie computergestützte Instrumente kritische Lücken in der personalisierten Medizin beim fortgeschrittenen serösem Ovarialkarzinom schließen können. „Wir wollten einen neuartigen Rahmen entwickeln, um die Wirksamkeit verschiedener Therapien für Eierstockkrebs zu bewerten und optimale Behandlungen für einzelne Patientinnen zu ermitteln“, erklärt die Forschungsbeauftragte Marilisa Cortesi.
Digitaler Zwilling
Die Forschenden entwickelten ALISON, einen Simulator für digitale Zwillinge, der die Gewebeumgebung der Bauchhöhle, dem Hauptort der Metastasierung beim fortgeschrittenen serösen Ovarialkarzinom, nachbildet. Cortesi erläutert: „ALISON ist mehr als ein anatomisches Modell. Der Simulator integriert das biologische Verhalten der verschiedenen Zelltypen des Gewebes und berücksichtigt, wie sich die Konzentration relevanter Moleküle (Sauerstoff, Glukose, Abfallprodukte) im Laufe der Zeit verändert.“ Im Gegensatz zu herkömmlichen Berechnungsmodellen, die von einem einheitlichen Zellverhalten ausgehen, weist ALISON den einzelnen Zellen unterschiedliche Verhaltensprofile zu, die die echte Variabilität widerspiegeln. Er berechnet Zellaktivitäten, wie Teilungsraten und Interaktionen zwischen verschiedenen Zelltypen. Durch die Simulation der Entwicklung des Gewebes können Forschende untersuchen, wie die Zellen auf unterschiedliche Bedingungen, einschließlich medikamentöser Behandlungen, reagieren. Diese Simulationen geben Aufschluss über die Behandlungswirksamkeit, indem sie das Verhalten und die Verteilung der Krebszellen im Laufe der Zeit verfolgen. Mit dieser Innovation konnten die experimentellen Ergebnisse repliziert werden, die das Fortschreiten des fortgeschrittenen serösen Ovarialkarzinoms mit der zunehmenden Diversität der Krebszellen in Verbindung bringen. ITHACA hat den digitalen Zwilling anhand herkömmlicher klinischer Daten kalibriert. Dieses Verfahren erzeugt virtuelle Krebszellpopulationen, die die Krankheitsmerkmale einer erkrankten Person nachahmen. Obwohl eine weitere Validierung mit größeren Patientenkohorten erforderlich ist, bietet dieser Ansatz eine vielversprechende Möglichkeit, die Therapieauswahl zu steuern und die Abhängigkeit von Versuch-und-Irrtum-Methoden zu verringern.
Zukunftsvision für ALISON
„Digitale Zwillinge, wie ALISON, bergen ein transformatives Potenzial für die Krebstherapie. Sie versprechen, zu wichtigen klinischen Instrumenten zu werden, mit denen sich das Ansprechen auf die Behandlung vorhersagen und die Nebenwirkungen bewerten lassen“, betont Cortesi. Dieser ganzheitliche Ansatz könnte die Lebensqualität steigern, zumal sich Krebs zunehmend zu einer kontrollierbaren chronischen Erkrankung entwickelt. In der Forschung können digitale Zwillinge die bisherigen Versuchsmodelle ergänzen. Sie bieten kosteneffiziente und detaillierte Analysen, einschließlich Szenarien, die in vitro oder in vivo nur schwer zu wiederholen sind. So kann ALISON unter anderem seltene Patientenmerkmale simulieren und deren Auswirkungen auf die Therapieergebnisse vorhersagen. Diese Fähigkeit, einzigartige Bedingungen zu erforschen, unterstreicht die Aufgabe von Computermodellen bei der Beschleunigung der Arzneimittelentwicklung und der Verbesserung der Erfolgsquote bei frühen klinischen Studien. Da der Code von ALISON auf GitHub frei verfügbar ist, schafft das Projektteam außerdem die Voraussetzungen für eine breitere wissenschaftliche Erforschung über Eierstockkrebs hinaus.
Schlüsselbegriffe
ITHACA, Behandlung, Therapie, Eierstockkrebs, digitaler Zwilling, Simulation