Frühwarnung bei baulichen Schäden an historischen Gebäuden
Historische Gebäude sind besonders anfällig für Erdbeben und andere Naturkatastrophen, da sich im Laufe der langen Geschichte bereits Schwachstellen gebildet haben. Neben dieser Anfälligkeit haben sie noch eine weitere Eigenschaft gemein: Sie sind zugig. Diese wertvollen kulturellen Stätten sind oft große, ungedämmte Räume, sodass enorme Mengen Energie verbraucht werden. Eine energetische und seismische Renovierung ist meist jedoch unbezahlbar. „Daher suchen Forschende an der Gemeinsamen Forschungsstelle der Europäischen Kommission nach neuen Lösungen, beide Probleme gleichzeitig zu bewältigen“, berichtet Dionysios Bournas, Teamleiter einer Forschungsgruppe zum Thema. Ein Teil der Gruppenaktivitäten ist das Projekt STRETCH, über das ein neues System geprüft wird, bei dem technische Textilverstärkung mit Wärmedämmung und Dehnungssensoren integriert wird. „Das Ergebnis ist eine innovative Möglichkeit zur energetischen Renovierung alter Gebäude, durch die gleichzeitig der bauliche Zustand überwacht werden kann“, erklärt Bournas, der Projektkoordinator. Mit der Innovation kann Energie gespart und laufend geprüft werden, wie diese alten Gebäude die Zeit überdauern. Darüber hinaus könnten auch Leben gerettet werden. „Wir berücksichtigen historische Gebäude mit und ohne kulturellen Wert, die errichtet wurden, bevor Vorschriften zu seismischen Risiken eingeführt wurden, weshalb sie besonders anfällig für diese Risiken sind“, erklärt die Hauptforscherin im Projekt, Michela Rossi, deren Arbeit über die Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen unterstützt wurde. „Die meisten historischen Stadtkerne in Regionen, in denen Erdbeben drohen, bestehen aus diesen Gebäuden, zum Beispiel rund um den Gebirgszug Appenin, der von Norden nach Süden durch Italien verläuft. Diese Gebäude sind durch minderwertige Baumaterialien und schwache bauliche Elemente besonders anfällig für Erdbebengefahren“, ergänzt sie.
Leichte Textilverstärkung für Renovierungen
Bei der vorgeschlagenen hybriden Renovierungslösung werden hochfeste leichte Textilverstärkungen aus Karbon, Glas, Basalt oder Naturfaser wie Flachs kombiniert. Die Verstärkungen können für mehr Energieeffizienz mit zusätzlichem Dämmmaterial oder einem Heizsystem kombiniert werden. „Die Verstärkung wird mittels kalkbasiertem Zement, Geopolymeren oder anderen anorganischen Bindemitteln mit der Gebäudehülle verbunden“, erklärt Bournas. Lichtleitersensoren werden mit einem Epoxidharz auf die Textilien genäht, um die Dehnung zu ermitteln. Diese Sensoren können möglicherweise nicht nur die Dehnung, sondern auch die Temperatur, den Druck und andere physikalische Parameter erfassen. „Mit den Echtzeitdaten und Erkenntnissen durch die verteilten Lichtleitersensoren kommen ganz neue Möglichkeiten auf, unsere Infrastruktur zu überwachen und zu verwalten. Durch die hohe Empfindlichkeit können sie in komplexe Systeme des Internets der Dinge integriert werden, um erste Anzeichen für baulichen Verfall zu erkennen“, ergänzt Rossi.
Wie sensorbestückte Textilien um Gebäude gewickelt werden
Die sensorbestückten Textilien werden zusammen mit anorganischen Matrizen, z. B. Mörtelüberzug, an das Äußere der Gebäude angebracht. Die Matrizen haften an dem Mauerwerk und schützen die Textilien und Sensoren. Das System sieht letztlich wie traditioneller Putz aus, sodass der Charakter des Gebäudes erhalten bleibt. Das ist gerade bei historischen Gebäuden wichtig. Laut Rossi werden Gebäude aus Stein oder Ziegeln bei einem Erdbeben parallel zur Wand (in-plane) und auch lateral bzw. lotrecht zur Wand (out-of-plane) belastet. Die Wirksamkeit des Renovierungssystems wurde zu beiden Belastungsarten an Steinmauern getestet. „Die renovierten Wände zeigten deutlich höhere Höchstlasten und mehr Verlagerungstoleranz im Vergleich zu den unverstärkten Wänden. Das energetische Verhalten der renovierten Wände wurde numerisch gemessen, indem der Wärmetransfer analysiert wurde. Das Ergebnis war eine deutliche Steigerung der thermischen Leistungsfähigkeit der Wände“, so Rossi.
Ein geprüftes und einsatzbereites Renovierungskonzept
Die Projektergebnisse werden in frei zugänglichen wissenschaftlichen und technischen Publikationen veröffentlicht, auch in Fachmagazinen und Kongressakten. Sie sind für viele Zielgruppen interessant: die Öffentlichkeit, die breitere Wissenschaftsgemeinde, das Bauwesen, die Politik, europäische Technologieplattformen wie BUILD UP und weitere. „Wir glauben, dass unsere Ergebnisse in die Initiative „Renovierungswelle“ im Rahmen des Europäischen Grünen Deals einfließen werden. Im Projekt wurde auch im Einklang mit den Grundsätzen des Neuen Europäischen Bauhaus ein Beitrag zum Erhalt und der Renovierung des kulturellen Erbes geleistet“, sagt Bournas.
Schlüsselbegriffe
STRETCH, historische Gebäude, Erdbeben, Renovierung, Energieeffizienz