Ein datengestützter Ansatz, um der Herausforderung der Migration zu begegnen
Migration ist nach wie vor ein dominierendes Thema in den Medien und der Politik in Europa, das gleichermaßen für Schlagzeilen und politische Debatten sorgt. Diese Debatten sind oft jedoch mehr von Rhetorik geprägt als von Fakten. „Effektive und konstruktive Debatten und Entscheidungsfindungsprozesse sind nur möglich, wenn sie sich auf verlässliche Belege über die demografischen, wirtschaftlichen, ökologischen und politischen Triebkräfte der Migration stützen“, sagt Tuba Bircan, interdisziplinäre Forscherin an der Freien Universität Brüssel (VUB) in Belgien. Mit Unterstützung des Projekts HumMingBird (Enhanced migration measures from a multidimensional perspective), das von der KU Leuven in Belgien koordiniert wird, leitet Bircan derzeit ein Vorhaben, um genau solche Belege zu liefern, und setzt dafür auf intensive Datenauswertung.
Neue Erkenntnisse über Migration
Das interdisziplinäre Projektteam konnte anhand eines multidimensionalen Forschungsansatzes beachtliche neue Erkenntnisse über die Triebkräfte, Praktiken und Folgen der Migration gewinnen. Mithilfe von Fernerkundungsanalysen bestimmten die Forschenden die Auswirkungen extremer Wetterereignisse auf Migrationsmuster. „In Somalia, wo plötzliche Ereignisse wie schwerwiegende Überschwemmungen häufiger zur unmittelbaren Binnenvertreibung führen, ist es wahrscheinlich, dass Migrantinnen und Migranten letztlich zurückkehren“, erklärt Bircan. „Umgekehrt neigen die Menschen dazu, den Nachwirkungen von langsam einsetzenden Ereignissen wie Dürre aus dem Weg zu gehen, sodass ihre Rückkehr nach der Vertreibung unwahrscheinlicher ist.“ Die Forschenden erhoben darüber hinaus Daten aus den sozialen Medien und Mobiltelefondaten, um Migrationsindikatoren besser zu verstehen, wo offizielle Statistikdaten nur begrenzt vorliegen. Ergänzend dazu nutzte es auch Flugverkehrsdaten, um Schätzungen zur saisonalen Migration zu erstellen. Anhand von Twitter-Daten erstellten sie außerdem Indizes für die Freundlichkeit gegenüber Migrierten in Gemeinden in verschiedenen europäischen Regionen. „Die Integration von Mobiltelefondaten, Daten aus den sozialen Medien und Satellitendaten hat sich als unschätzbar wertvoll erwiesen, um zu einem umfassenden Verständnis von komplexen Indikatoren wie der grenzüberschreitenden Mobilität und der Wohnsegregation zu gelangen“, merkt Bircan an. In Zusammenarbeit mit dem EU-finanzierten Projekt OPPORTUNITIES führte das Projekt HumMingBird eine umfangreiche Meinungsumfrage durch. Thematisiert wurde dabei das dynamische Zusammenwirken zwischen der Repräsentation von Gruppen Migrierter in den Medien und den politischen und gesellschaftlichen Reaktionen auf Zuwanderung.
Fundierte, datengestützte Diskussionen über Migration
Die wegweisende Forschung des Projekts HumMingBird hinterfragt bestehende Wahrnehmungen über Migration. „Die traditionelle Forschung hat die Vielfalt und Dynamik der Migrationserfahrung bisher nicht erfasst, was letztendlich die Handlungsfähigkeit von Migrantinnen und Migranten untergräbt“, erläutert Bircan. Sie merkt an, dass die meisten Migrantinnen und Migranten, entgegen der weitläufigen Ansicht, keine vorgefertigten Vorstellungen von dem Land haben, das sie erreichen möchten. Die Daten belegen vielmehr, dass ihr Bestimmungsort durch die Erfahrungen beeinflusst wird, die sie auf ihrer Reise machen. „Angesichts dieser Tatsachen sollten wir uns nun von der Rhetorik des Begriffs ‚Entsendeländer‘ abwenden und die zentrale Rolle anerkennen, die die Migrationsroute spielt, und unsere politischen Maßnahmen entsprechend anpassen“, fügt sie hinzu. Die Ergebnisse des Projekts werden von politischen Entscheidungstragenden, auch auf EU-Ebene, mit großem Interesse aufgenommen. Viele Ergebnisse, Erkenntnisse und Vorschläge werden zudem in Kürze in einem neuen Buch veröffentlicht. Unter dem Titel „Data Science for Migration and Mobility“ wird es einen detaillierten Einblick in die Nutzung der erwähnten Werkzeuge im Bereich Migration und Mobilität geben. „Wir sind zuversichtlich, dass dieses Buch die internationale Zusammenarbeit und fundierte, datengestützte Diskussionen über Migration unter Forschenden, Praktizierenden und politisch Verantwortlichen erleichtern wird“, schließt Bircan. Das Forschungsteam konzentriert seine Kräfte nun darauf, künftige Migrationsszenarien und ihre möglichen Implikationen für politische Maßnahmen auf nationaler und EU-Ebene zu untersuchen.
Schlüsselbegriffe
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