Maßgeschneidertes Training verbessert die Wirksamkeit von Gehirn-Computer-Schnittstellen
Gehirn-Computer-Schnittstellen (brain-computer interfaces, BCI) übersetzen die Gehirnaktivität, in der Regel Elektroenzephalographie-Signale (EEG-Signale), in Befehle für interaktive Anwendungen, wie etwa unterstützende Technologien. Dadurch könnten beispielsweise motorisch eingeschränkte Menschen in die Lage versetzt werden, Sprach- und Buchstabiergeräte oder Rollstühle alleine durch Hirnaktivität zu steuern, da ihre Gedanken an eine Bewegung (z. B. die linke oder rechte Hand) EEG-Signale erzeugen, die in Aktionen des Geräts umgesetzt werden. Dennoch werden BCIs außerhalb von Labors nur selten eingesetzt, hauptsächlich aufgrund ihrer Unzuverlässigkeit. „Verbesserungen werden in der Regel durch die Optimierung der Technologie erzielt, doch die Steuerung eines BCI ist eine Fähigkeit, die eine Person erlernen kann“, erklärt Fabien Lotte, Projektkoordinator des vom Europäischen Forschungsrats finanzierten Projekts BrainConquest. „Wie bei den meisten Fähigkeiten gibt es auch hier große Unterschiede, und es ist nicht klar, warum manche Nutzende BCIs scheinbar besser steuern können als andere.“ Nachdem BrainConquest untersucht hatte, wie Benutzende die Steuerung von BCIs erlernen, entwickelte das Unternehmen Modelle und Lernprinzipien, die in das erste maßgeschneiderte Trainingspaket in diesem Bereich einflossen. „Wir haben Wilfred, einen BCI-Benutzer mit Tetraplegie, der am BCI-Wettbewerb der Cybathlon-Serie 2019 teilnimmt, zu Hause angelernt. Wir haben zwar nicht gewonnen, doch er hat uns unerwarteterweise geholfen, eine neue Art des BCI-Lernens zu identifizieren, bei der sich die Benutzenden an die Erwartungen der BCI-Algorithmen anpassen, anstatt immer deutlichere EEG-Signale zu erzeugen“, sagt Lotte. Das Projekt hat bereits breite Anerkennung durch verschiedene Auszeichnungen erhalten, darunter den USERN-Preis 2022, den „Neuroergonomics Conference 2021 Young Investigator Award“ und eine lobende Erwähnung für quelloffene Forschungssoftware im Rahmen von 2022 Open Science. Die technischen Ressourcen des Projekts sind über die quelloffenen BCI-Software-Plattformen OpenViBE und BioPyC frei verfügbar.
Modellierung des Benutzungslernens
Die computergestützte Modellierung half dem Projekt bei der Entwicklung seiner Lehrmethode. Sie ergab, dass Nutzenden mit stabileren Mustern der motorischen Gehirnaktivität im Ruhezustand eine bessere motorische BCI-Steuerung gelang und die Leistung des Nutzenden auf der Grundlage der Merkmale der von den BCI-Algorithmen verwendeten EEG-Muster vorhergesagt werden konnte – beispielsweise welche Gehirnareale am meisten genutzt werden. Während BCIs aus den EEG-Signalen auf die mentalen Zustände der Nutzenden schließen können, wie z. B. ihre „Bewegungsabsicht“ oder „Arbeitsbelastung“, ging BrainConquest noch weiter. „Zum ersten Mal haben wir aus den EEG-Signalen auch die Art der Aufmerksamkeit oder Neugier – wie etwa andauernd oder geteilt – abgeschätzt, was uns weitere Einblicke in die Lernmodi verschafft“, fügt Lotte hinzu. Modelle analysierten auch das tatsächliche BCI-Lernen, um zu beobachten, wie das Training die BCI-Steuerung beeinflusst. Die EEG-Muster wurden gemessen, während die Benutzenden Aufgaben ausführten und verschiedene Arten von Rückmeldungen erhielten. Das System ermittelte, welche Nutzungsprofile von welcher Art von Feedback profitierten. Im Rahmen des Projekts wurde festgestellt, dass multimodale Rückmeldungen – eine Kombination aus vibrotaktilem und visuellem Feedback, sozialem Feedback (mit künstlicher Lernbegleitung) oder verzerrtem Feedback (das Nutzende davon überzeugt, dass ihre BCI-Kontrolle besser oder schlechter ist als in der Realität) – der Schlüssel zur Leistungssteigerung ist. „Wir haben aus erster Hand erfahren, wie wichtig ein personalisiertes Training ist, denn BCI-Nutzende lernen anders. Wer zum Beispiel lieber in der Gruppe arbeitet, wird sich mit unserer künstlichen Lernbegleitung verbessern: wer lieber alleine arbeitet, natürlich nicht“, erklärt Lotte.
Anwendungsbereich vergrößern
Das Team wendet seine Ergebnisse derzeit auf Fälle der Rehabilitation nach einem Schlaganfall an, bei der die Betroffenen dank eines motorischen BCI-basierten Feedback-Trainings die Plastizität ihrer geschädigten Hirnareale anregen können. „Uns fehlt noch immer eine umfassende Theorie der BCI-Nutzung. Das BrainConquest-Anwendungstraining ist nur eine Komponente. In meinem neuen Projekt Proteus werden die EEG-Variabilität und die BCI-Steuerungsleistung zwischen und innerhalb von Nutzenden untersucht, um Algorithmen zu entwickeln, die besser an die Variabilität angepasst sind“, fasst Lotte zusammen. Darüber hinaus ist Lotte seit kurzem mit internationalen Partnern an zwei weiteren Projekten beteiligt: dem Einsatz von BCI zur Überwachung der Nutzungserfahrung in virtuellen Museen, BITSCOPE, und BCI zur Erkennung von intraoperativem Bewusstsein, wenn Patientinnen oder Patienten während einer Operation aufwachen BCI4IA.
Schlüsselbegriffe
BrainConquest, Gehirn-Computer-Schnittstelle, BCI, EEG, Elektroenzephalographie, unterstützende Technologien, Schlaganfall, Rehabilitation, Algorithmen, Training, Lernen