Kein Grund zum Lachen: „Spaß“ als Hilfsmittel für extreme Äußerungen im Internet
Soziale Medien haben sich zu einem mächtigen Instrument für rechtsextreme Bewegungen entwickelt, um extreme Äußerungen und Ideologien zu verbreiten. Sie stellen ebenso eine große Herausforderung für die Durchsetzung von Vorschriften sowie die Moderation im Internet dar. Sahana Udupa, Professorin für Medienanthropologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, untersuchte in einem Projekt die komplexe Beziehung zwischen digitalen Medien und den politischen Kulturen religiöser Identitäten in Indien und deren Diaspora im Vereinigten Königreich und in Deutschland. Udupas vom Europäischen Forschungsrat finanziertes Projekt ONLINERPOL wurde von ihrer ersten Monografie inspiriert, einer Ethnografie über Nachrichtenmedien und Stadtpolitik. Während dieser Arbeit beobachtete sie große Veränderungen in der Art und Weise, wie Menschen Medien konsumieren und sich mit ihnen beschäftigen. „Die enorme Verbreitung von Smartphones und günstigen Datentarifen hat die Szene revolutioniert“, erklärt sie. „Dieses sich verändernde Medienszenario bedeutete einen wichtigen infrastrukturellen Wendepunkt für historisch geprägte Machtstrukturen rund um religiöse und nationalistische Identitäten.“
Witze und Scherze als Strategie der Rechten
Eines der wichtigsten Ergebnisse von Udupas Forschung ist ihre Theorie von „Spaß als Metapraxis“ der radikalisierten Sprache im Internet. Sie stellte fest, dass rechtsgerichtete Personen strategisch auf Witze und Scherze setzen, um die Aufmerksamkeit der Behörden und Inhaltsfilter zu umgehen. „Ich war erstaunt, wie sehr der hitzige Austausch in den Online-Medien oft als Vergnügen empfunden wird“, bemerkt sie. Zum Beispiel begünstigt Spaß die Bildung sozialer Bindungen zwischen Nutzenden, die dieselben ideologischen Positionen vertreten. Es geht nicht darum, lustig zu sein, sondern darum, den Hashtag zum Trend zu machen und sich in Online-Diskussionen zu profilieren. In Ländern wie Dänemark und Deutschland hat der Online-Spaß rechtsextremen Aktiven die Möglichkeit geboten, sich strengen Sprachregelungen zu entziehen und sich gleichzeitig an cleveren Wortverdrehungen, suggestiven Formulierungen und verschlüsselter Sprache zu erfreuen. „Der Spaß besteht darin, Meme-Texte zu überarbeiten und sie mit dem Glanz popkultureller Symbole zu versehen – von Bollywood, Hollywood und regionalem Kino bis hin zu Folklore, lokalen Redewendungen und Wortspielen“, führt Udupa aus.
Fakten gemeinsam prüfen
Um die regulatorischen Auswirkungen von lustigen und komplexen kulturell kodierten Ausdrücken im Zusammenhang mit rechtsgerichteten politischen Kulturen im Internet zu verstehen, hat sich Udupa mit in den Bereichen Faktenprüfung, KI-Entwicklung und Ethnografie Tätigen zusammengetan. Nach der Entwicklung eines gemeinschaftlichen Kodierungsmodells zur Erkennung problematischer Sprache entwickelten sie den Rahmen der „ethischen Skalierung“ als Kritik an KI. Dabei wurde die Bedeutung der Einbindung der Gemeinschaft in die Erarbeitung und Entwicklung von Technologie hervorgehoben. ONLINERPOL hat dazu beigetragen zu verstehen, wie das Internet zu einem wichtigen Bindeglied für fremdenfeindliche und ausgrenzende nationalistische Politiken weltweit geworden ist. Udupa, die 2021 den Francqui-Lehrstuhl für ihre akademische Forschung auf dem Gebiet der Untersuchung radikalisierter Sprache innehatte und im Herbst 2021 Joan-Shorenstein-Stipendiatin war, hat außerdem ein Strategiepapier für die Friedensmission der Vereinten Nationen verfasst, in dem es um die Herausforderungen geht, die sich durch Hassreden im Internet ergeben. In Zukunft will sie weiterhin verschiedene Dimensionen digitaler Kulturen erforschen und die Initiative For Digital Dignity stärken, ein Netzwerk aus Forschenden und Aktiven mit einer gemeinsamen Vision zur Förderung von Räumen für die politische Meinungsäußerung im Internet.
Schlüsselbegriffe
ONLINERPOL, Spaß, Witze, Scherze, Medien, Rechtsextremismus, politische Kultur, religiöse Identitäten, Online-Vorschriften, extreme Äußerung, radikalisierte Sprache, Hassreden, globale Online-Kulturen, Indien, soziale Medien, nationalistische Politik