Bakterien gegen Bakterien: Wie Lungeninfektionen in Zukunft bekämpft werden können
Forschende, die im Rahmen der EU-finanzierten Projekte MYCOCHASSIS und MycoSynVac unterstützt wurden, haben die ersten lebenden Bakterien zur Behandlung von Lungeninfektionen entwickelt. Dieses „lebende Arzneimittel“ greift das Bakterium Pseudomonas aeruginosa an, das gegenüber fast allen Antibiotika resistent ist und eine häufige Ursache für nosokomiale Infektionen darstellt. Laut der Studie, die in der Fachzeitschrift „Nature Biotechnology“ veröffentlicht wurde, modifizierte das Forschungsteam das in der menschlichen Lunge vorkommende Bakterium Mycoplasma pneumoniae, um die beatmungsassoziierte Pneumonie (VAP) zu behandeln. VAP hat bei Assoziation mit dem antibiotikaresistenten P. aeruginosa eine besonders hohe Krankenhaussterblichkeit. Das M. pneumoniae aus dem Labor wird in Kombination mit niedrig dosierten Antibiotika verwendet, die für sich alleine keine ausreichende Wirkung hätten.
Hohe Wirksamkeit ohne Toxizität
Bei Tests an Mäusen zeigte sich, dass die Behandlung mit den gezüchteten Bakterien Lungeninfektionen erheblich verringerte und eine höhere Überlebensrate sicherte. Die Forschenden konnten zudem keine unerwünschten klinischen Symptome durch die Behandlung feststellen. Das lässt darauf schließen, dass eine einmalige hohe Dosis an M. pneumoniae ohne Toxizität wirksam war. Nach Abschluss der Behandlung wurde das modifizierte Bakterium darüber hinaus vom Immunsystem allmählich beseitigt. Warum sind durch P. aeruginosa bedingte Infektionen so schwer behandelbar? Eine Pressemitteilung auf der Website des Fundacio Centre de Regulacio Genomica (CRG) in Spanien erklärt, dass P.-aeruginosa-Bakterien in Gemeinschaften leben, die Biofilme bilden. Dadurch entstünden undurchdringliche Strukturen, gegen die Antibiotika kein Durchkommen haben. Biofilme können sich an die Oberflächen von Endotrachealtuben heften, die bei künstlich beatmeten Schwerkranken eingesetzt werden. Das führt bei bis zu 27 Prozent dieser Betroffenen zur Entwicklung einer VAP. Noch dramatischer ist die Lage bei intubierten COVID-19-Kranken, bei denen mehr als die Hälfte eine VAP entwickelt. Die Forschenden modifizierten M. pneumoniae dafür, Biofilme aufzulösen. Bei Tests an Biofilmen mit P. aeruginosa, die aus den Endotrachealtuben von Personen in intensivstationärer Behandlung stammten, gelang es durch die Behandlung, die Barriere zu durchdringen und die Biofilme wie gewünscht aufzulösen. „Wir haben damit einen Rammbock entwickelt, der gegen die Festungen von antibiotikaresistenten Bakterien anstürmen kann. Die Behandlung schlägt Löcher in ihre Zellwände und öffnet so wichtige Eintrittsstellen, an denen die Antibiotika eindringen und Infektionen an ihrem Ursprung beseitigen können. Wir sehen darin eine vielversprechende neue Strategie, um der Hauptursache für die Sterblichkeit in Krankenhäusern etwas entgegenzusetzen“, sagt die Mithauptautorin der Studie, Dr. María Lluch vom CRG. Die Wirksamkeit von M. pneumoniae bei der Bekämpfung von Lungeninfektionen zeigt, dass die Entwicklung neuer Bakterienstämmen denkbar ist, mit denen Erkrankungen der Atemwege wie Asthma oder Lungenkrebs behandelt werden könnten. „Das Bakterium lässt sich durch verschiedene Ladungen modifizieren– zum Beispiel Zytokinen, Nanokörpern oder Defensinen. Ziel dabei ist es, das modifizierte Arsenal des Bakteriums möglichst breit zu streuen, um sein ganzes Potenzial zur Behandlung verschiedener komplexer Krankheiten zu erschließen“, bemerkt Mithauptautor Dr. Luis Serrano, Direktor des CRG, das die beiden Projekte MYCOCHASSIS (Engineering of a minimal bacterial therapeutic chassis) and MycoSynVac (Engineering of Mycoplasma pneumoniae as a broad-spectrum animal vaccine) koordiniert. Die Forschenden planen weitere Tests, bevor die klinische Studie beginnt. Weitere Informationen: MYCOCHASSIS-Projekt MycoSynVac-Projektwebsite
Schlüsselbegriffe
MYCOCHASSIS, MycoSynVac, Lunge, Pseudomonas aeruginosa, Biofilm, Bakterien, Bakterium, Lungeninfektion, Mycoplasma pneumoniae, Antibiotika