Hochauflösendes Bildgebungsverfahren enthüllt „Nano-Verschaltung“ von Gedächtnisneuronen im Gehirn
Das Gehirn ist die komplexeste Struktur des menschlichen Körpers. Seine etwa 100 Milliarden Neuronen (was in etwa der Anzahl der Sterne in der Milchstraße entspricht) sind über eine Billiarde Synapsen verbunden, die ein riesiges Netzwerk und somit die Grundlage menschlichen Bewusstseins bilden.
Bildgebung verzweigter baumartiger Strukturen
Auf welche Weise aus dieser Unmenge von Nervenzellen das Gedächtnis entsteht, ist allerdings noch kaum erforscht. Der Hippocampus von Säugetieren ist eine Region tief im Innern des Gehirns, die in der Forschung lange als archetypisches Zentrum der Gedächtnisbildung galt. Nun sollte das EU-finanzierte Projekt IVSTED in vivo und in subzellulärer räumlicher Auflösung die Verbindungen zwischen den Neuronen des Hippocampus untersuchen. Für die Verarbeitung von Informationen im Hippocampus in Form unzähliger synaptischer Verbindungen befinden sich auf den Dendriten der Neuronen dendritische Dornfortsätze (Spines). Forschungsschwerpunkt war nun die dynamische Veränderung dieser winzigen neuronalen Kompartimente. Über Strukturveränderungen (strukturelle Plastizität) können Synapsen die Stärke ihrer Verbindung variieren. „Dendritische Dornen sind hochdynamisch, und ihre Plastizität (bzw. synaptische Stärke) gilt heute als wichtiges strukturelles Korrelat beim Entstehen einer Gedächtnisspur“, erklärt Stéphane Bancelin, Koordinator von IVSTED. Aufgrund ihrer geringen Größe von nur wenigen Nanometern und ihrer hohen Dichte sind experimentelle Analysen wie auch die Erforschung der Feinstruktur in realistischem Setting jedoch sehr schwierig.
Bislang höchste räumliche Auflösung
Das Projekt entwickelte ein Mikroskop, dessen räumliche Auflösung hoch genug ist für die detaillierte Darstellung dendritischer Dornen. Vor allem aber gelang mit dem Mikroskop in vivo die Beobachtung synaptischer Funktionen im Gehirn eines anästhesierten Mausmodells. Herkömmliche optische Mikroskope waren wegen zu niedriger Auflösung für die feinen morphologischen Details dieser postsynaptischen Strukturen bislang ungeeignet, und auch Elektronenmikroskope können mit fixierten Hirnschnitten nur Momentaufnahmen liefern. Somit konnte die neurowissenschaftliche Forschung die Dynamik von Spines wie auch synaptische Prozesse, die Grundlage für Gehirnphysiologie und Verhalten sind, kaum nachverfolgen. IVSTED arbeitete mit hochauflösender STED-Mikroskopie (Stimulated Emission Depletion), die die bisherige Beugungsgrenze überwindet und so die Auflösung erhöht. Für Analysen tiefer liegender Gewebe wurde zudem ein adaptives optisches Verfahren (räumliche Lichtmodulation) eingesetzt, was durch räumliche Beugung des Lichtstrahls Verzerrungen (Aberrationen) in tieferem Gewebe vermeidet. „Erstmals konnten wir so postsynaptische Strukturen im Hippocampus eines lebenden Tieres mit einer räumlichen Auflösung von unter 50 nm darstellen“, bemerkt Bancelin.
Stabiles Gedächtnis – instabile Synapsen
Nun untersuchten die Forschenden nicht nur die Nano-Morphologie dendritischer Dornen, sondern auch deren Turnover, d. h. die Zu- und Abnahme dieser kurzlebigen postsynaptischen Strukturen. „Wir stellten einen extrem hohen synaptischen Turnover fest, durch den etwa 40 % der beobachtbaren dendritischen Dornen nach 4 Tagen ersetzt wurden. Dabei korrelieren unsere Beobachtungen mit einer neueren Studie, der zufolge der flüchtige Zustand eines Säugetier-Hippocampus im dynamischen Turnover seiner Synapsen begründet liegt“, erläutert Bancelin. Nun muss geklärt werden, ob im Hippocampus auch eine stabile Population von Synapsen existiert. Die Forschenden wollen diese synaptische Neuverschaltung weiter untersuchen und herausfinden, wie das Gehirn auf veränderliches Verhalten reagiert und wie neue Erinnerungen entstehen. IVSTED ebnete damit neue Wege, um strukturelle Prozesse der Gedächtnisbildung genauer untersuchen zu können. „Neue Erkenntnisse zur Funktionsweise und Anatomie der komplizierten Netzwerke im Gehirn könnten Aufschluss über zugrunde liegende zelluläre Mechanismen von neurologischen Erkrankungen liefern. Viele Studien vermuten beispielsweise, dass der für Alzheimer-Demenz typische Gedächtnisverlust und kognitive Abbau vor allem auf geschädigte Synapsen zurückgeht“, so Bancelin abschließend.
Schlüsselbegriffe
IVSTED, dendritische Dornen, Gedächtnisbildung, postsynaptische Strukturen, hochauflösende Bildgebung, STED, Stimulated Emission Depletion, adaptive Optik, Hippocampus, Synapsen