Algorithmen verändern unsere Gewohnheiten beim Lesen von Nachrichten. Sollten wir uns Sorgen machen?
Die meisten von uns sind mit der Informationsflut vertraut. Aber schürt die Möglichkeit, in einer zunehmend polarisierten Gesellschaft nur das zu lesen, was uns interessiert, und zwar aus vorausgewählten Quellen, die Flamme der selektiven Voreingenommenheit und schaltet unsere Fähigkeit aus, beide Seiten zu erkennen? Das Projekt PersoNews (Profiling and targeting news readers – implications for the democratic role of the digital media, user rights and public information policy), das vom Europäischen Forschungsrat unterstützt wurde, untersuchte, welche Auswirkungen der Trend zur Personalisierung auf die Rolle der digitalen Medien in der Gesellschaft hat und wie diese bewertet werden kann. Wer kontrolliert die Algorithmen hinter den angezeigten Inhalten? Welche Rechte haben die Nutzenden? Und wie wirkt sich die Personalisierung auf unser Vertrauen aus? Natali Helberger ist Hauptforscherin des Projekts und eine angesehene Universitätsprofessorin für Recht und digitale Technologie mit besonderem Schwerpunkt auf künstlicher Intelligenz (KI) an der Universität Amsterdam.
Ein zweischneidiges Schwert
„Die Öffentlichkeit ist sowohl in Bezug auf die Qualität und Relevanz der Nachrichten als auch in Bezug auf die Vielfalt der Empfehlungen sehr daran interessiert, besser informiert zu werden“, so Helberger. Viele etablierte Systeme zur Empfehlung von Nachrichten sind darauf ausgelegt, Inhalte zu zeigen, die den Vorlieben der nutzenden Person entsprechen, um sie länger auf der Website zu halten und Möglichkeiten für gezielte Werbung zu schaffen. „Es handelt sich um legitime, jedoch kurzfristige Ziele eines Algorithmus für Nachrichtenempfehlungen, die häufig von wirtschaftlichen Interessen und nicht durch eine gesellschaftliche Perspektive geprägt sind. Sie erkennen, anders ausgedrückt, nicht die Aufgabe an, die Empfehlungssysteme in einer vielfältigen und gesunden Medienlandschaft einnehmen könnten“, sagt Helberger. Sie erklärt, dass Algorithmen für Nachrichtenempfehlungen, die nicht einfach nur „mehr vom Gleichen“ servieren oder versuchen, Klicks und Werbeeinnahmen zu steigern, ein großes Potenzial bergen. Das Projekt vereinte Forschende aus den Bereichen Recht, Kommunikationswissenschaft, Journalistik und künstliche Intelligenz, um einen umfassenden Überblick über die Personalisierung von Nachrichten aus der Sicht der Nutzenden, der Redaktionen, der Gesellschaft und des Rechts zu schaffen. Das Team führte Umfragen und Fokusgruppen durch, um herauszufinden, wie die Nutzenden die Personalisierung von Nachrichten wahrnehmen und erleben und wie ihre Bedenken und Erwartungen dazu aussehen. PersoNews hat Interviews mit Redaktionsmitgliedern geführt, um einen Einblick in die Prioritäten der Anbietenden zu erhalten. „Die Erkenntnisse aus dieser Forschung flossen in unsere Arbeit zur Definition der aufkommenden journalistischen algorithmischen Ethik ein“, fügt Helberger hinzu. „Empirische Erkenntnisse über die Ansichten der Nutzenden boten die Grundlage für unsere juristische Untersuchung der Rolle des Rechts, die Bedenken der Nutzenden zu berücksichtigen, z. B. in Bezug auf personenbezogene Daten und Datenschutz. Wir haben außerdem ein Konzept entwickelt, wie mehr Vielfalt in den Empfehlungen erreichbar wäre.“
Medienmanifest
Während des gesamten Projekts arbeitete das Team mit Journalistinnen und Journalisten, Redaktionen und Fachleuten für Datenwissenschaft von Unternehmen wie der britischen BBC, der europäischen RTL Group, dem belgischen VRT und dem deutschen ZDF sowie mit Zeitungen wie der niederländischen Volkskrant und dem Het Financieele Dagblad zusammen. „Durch unsere rechtliche und politische Forschung zu Nutzerrechten und Medienregulierung sollte das Projekt zu den laufenden Debatten über den verantwortungsvollen Einsatz von künstlicher Intelligenz in den Medien beitragen. Wir haben unsere Erkenntnisse mit politischen Organen wie der Europäischen Kommission, dem Europarat und nationalen Regierungen in Kanada, Deutschland, den Niederlanden, Norwegen und dem Vereinigten Königreich geteilt“, so Helberger. Neben sonstigen Ergebnissen hat PersoNews eine preisgekrönte Arbeit veröffentlicht, in der die demokratische Rolle von Nachrichtenempfehlungssystemen beschrieben wird. Darauf folgten Einladungen zu weiterführenden Forschungsarbeiten und es wurde die Grundlage für mehrere Projekte geschaffen, die sich mit dem Modell der „vielfältigen Empfehlungen“ befassen. Es diente außerdem als Ausgangsbasis für ein Manifest von Schloss Dagstuhl, das von einer weltweiten Fachgruppe auf diesem Gebiet verfasst wurde.
Schlüsselbegriffe
PersoNews, Personalisierung, Medien, Algorithmen, Demokratie, Journalismus, digitale Medien, künstliche Intelligenz