Big-Data-Ansatz zur Erklärung des europäischen Produktivitätsparadoxons
Trotz stetiger technologischer Fortschritte in verschiedensten Sektoren befindet sich die Arbeitsproduktivität in Europa in den letzten Jahren in relativer Stagnation oder war sogar rückläufig. Dies wird als das „Produktivitätsparadoxon“ bezeichnet. Das Crépon-Duguet-Mairesse-Modell bietet ein wegweisendes Rahmenwerk für die Untersuchung der Produktivität, da es Innovationsleistungen und Forschungsinvestitionen berührt. Das von der EU unterstützte Projekt BIGPROD (Addressing productivity paradox with big data: implications to policy making) leistet einen eigenen, einzigartigen Beitrag zur Literatur zum Crépon-Duguet-Mairesse-Modell: Die Projektgruppe wendete das Modell an, um Daten zu immateriellen Investitionen, zwischenbetrieblichen Übertragungen und einzelnen Innovationen auszuwerten. Dazu trugen sie Daten direkt von den Websites der Unternehmen zusammen und stellten heraus, was die Unternehmen als ihre Innovationsergebnisse wie neue Produkte oder Dienstleistungen betrachten und welche Partnerschaften sie eingegangen waren. Im Rahmen von BIGPROD wurde eine Plattform entwickelt, auf der das Programm zur Datenerfassung im Internet gehostet wird. Darüber wurden Daten von einer europaweiten Stichprobe erhoben, die etwa 180 000 europäische Firmen umfasste. In der Phase des ersten Konzeptnachweises des Projekts wurden die Qualität sowie die Quantität der aus der Stichprobe zu gewinnenden Daten getestet. „Wir werten zurzeit noch aus, wissen jedoch, dass wir aussagekräftige Daten aus etwa 60 % der Stichprobe gewinnen konnten. Das scheint zwar gering zu sein, doch verglichen mit einer normalen Antwortquote bei Befragungen von etwa 20 % sind unsere Zahlen wirklich gut“, sagt Projektkoordinator Arho Suominen vom Technischen Forschungszentrum Finnland (VTT).
Datenerhebung im Internet
Das Stichprobenziel des Projekts lag zwischen 160 000 und 200 000 Firmenwebsites, um einen Datensatz zu erhalten, dessen Umfang eine neue Betrachtungsweise von Innovation und Produktivität ermöglicht. Das Team orientierte sich an der branchenübergreifenden Norm für die gezielte Datensuche sowie Sektorenklassifikationen und konzentrierte sich auf drei Gruppen: Spitzentechnologie-Sektoren, Sektoren mit geringerem Technologieniveau und Dienstleistungen. Die Forschungsgruppe verfolgte dabei die Hypothese, dass sie brauchbare Daten von Spitzentechnologie-Unternehmen erhalten würden, die wahrscheinlich über aussagekräftige Internetauftritte verfügen – um so bereits den großen Stichprobenumfang zu gewährleisten. Die Datenmenge aus Sektoren mit geringerem Technologieniveau schätzten sie demgegenüber geringer ein. Im Bereich Dienstleistungen wollte das Team einen neuartigen Ansatz zur Bestimmung von Dienstleistungsinnovation entwickeln und untersuchte dazu beispielsweise Daten zu Stellenangeboten und den auf dem Arbeitsmarkt erforderlichen Kompetenzen. „Ich war von der enormen Menge und Breite von Daten, die wir zusammentragen konnten, überrascht. Den Erwartungen gemäß konnten wir im Spitzentechnologie-Sektor aussagekräftige Daten sammeln, im Sektor mit geringerem Technologieniveau hingegen nicht. Um das auszugleichen, erweiterten wir unsere Analysen auf Unternehmen mit mittlerem Technologieniveau“, erklärt Suominen. Außerdem entwarf das Team aufschlussreiche Datenpunkte für Innovationsprodukte, Zusammenarbeit sowie Unternehmenstätigkeiten und eröffnete damit die Möglichkeit zur Abbildung umfangreicherer Innovationsnetzwerke. „Wir konnten bereits auf ganz neue Weise Verflechtungen von Unternehmen und Forschungseinrichtungen aufzeigen“, fügt Suominen an.
Der Weg zu einer Politik für nachhaltige Produktivität
BIGPROD wurde von den Zielen für nachhaltige Entwicklung geleitet. Sie dienten als Rahmenwerk, um ein besseres Verständnis der sozioökonomischen Auswirkungen zu erlangen. Derzeit untersucht die Forschungsgruppe, wie Erklärungen zum Leitbild und zu den Perspektiven der Firmen, die mit den Zielen für nachhaltige Entwicklung in Zusammenhang stehen, zeigen können, wie die Nachhaltigkeitswende in die Unternehmensziele eingebettet werden kann – ein Aspekt, der die Innovationspolitik anleiten kann. „Damit Produktivitätsinvestitionen positive sozioökonomische Auswirkungen haben, müssen die politischen Entscheidungstragenden wissen, welche Hebel dazu zu bedienen sind. Im Rahmen von BIGPROD wird ermittelt, wie Länder geeignete Innovationsbedingungen schaffen können“, so Suominen abschließend. Das Team bringt Interessengruppen aus den Bereichen Politik, Statistik, Wirtschaft sowie Datenanalytik für mehrere Beratungen zusammen und beginnt demnächst mit der Modellierungsphase. Das Ziel ist es dabei, aus ihren Daten weitere Erkenntnisse zur Produktivität zu erlangen. Darüber hinaus planen die Forschenden, quelloffene Python-Programme zu nutzen, sodass auch andere ihre Ergebnisse und Verfahrensweisen nutzen können.
Schlüsselbegriffe
BIGPROD, Produktivitätsparadoxon, Datenerhebung im Internet, Unternehmen, Crépon-Duguet-Mairesse, Innovation, Investition, Spitzentechnologie, geringeres Technologieniveau, Ziele für nachhaltige Entwicklung, wirtschaftlich