Überlegungen zu Fachwissen über Giftstoffe, Petrochemie und Umweltgerechtigkeit
Fachwissen über Giftstoffe ist ein zweischneidiges Schwert. Einerseits steht dadurch wissenschaftliche Expertise über die Auswirkungen der Umweltbelastung durch Giftstoffe zur Verfügung. Andererseits wird das Wissen über die Art der Giftigkeit auch dazu genutzt, lasche Haltungen zur sozialen Verantwortung von Unternehmen und den Mangel wirksamer gesetzlicher Regelungen zu rechtfertigen. Im Raum zwischen diesen beiden Extremen werden fortlaufende, oft hitzige Debatten über die sozialen, wirtschaftlichen, umweltbezogenen und gesundheitlichen Auswirkungen der Umweltbelastung durch Giftstoffe geführt. „Giftstoffe sind in der modernen Welt allgegenwärtig und aufgrund ihrer Auswirkungen auf die Gesundheit und die Umwelt eine Quelle öffentlicher Besorgnis“, so Alice Mah, Professorin für Soziologie an der Universität Warwick. Mit Unterstützung des EU-finanzierten Projekts ToxicExpertise (Environmental Justice and the Global Petrochemical Industry) führte Mah Bemühungen an, neue Einblicke in die komplexen Wirkungsweisen von Fachwissen innerhalb – und bezüglich – der petrochemischen Industrie zu gewinnen. „Wir haben uns bei unserer Arbeit auf die petrochemische Industrie konzentriert, da sie eine signifikante und kontrovers diskutierte Quelle der Umweltbelastung durch Giftstoffe darstellt“, erklärt Mah. „Darüber hinaus ist diese Branche von ungleichen Rechtsvorschriften und Risikofaktoren über verschiedene Länder und Bevölkerungen hinweg geprägt.“
Beleuchtung unternehmerischer Machtstrukturen
Das vom Europäischen Forschungsrat geförderte Projekt ToxicExpertise schickte sich an, die erste systematische sozialwissenschaftliche Studie der globalen petrochemischen Industrie zu sozialer Verantwortung und Maßnahmen zur Umweltgerechtigkeit der Unternehmen durchzuführen. Zu diesem Zweck untersuchte die Forschungsgruppe zunächst das Fachwissen über Giftstoffe, das in den führenden globalen Petrochemie-Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen für den Umweltschutz vorhanden war. „Diese Untersuchungen offenbarten die sich verschiebenden Dynamiken und Netzwerke unternehmerischer Machtstrukturen in der globalen petrochemischen Industrie“, merkt Mah an. „Sie verschafften uns auch ein besseres Verständnis der Art und Weise, wie Konzerne technisches Fachwissen in verschiedenen Feldern zu zahlreichen Zwecken einsetzen.“ Als Nächstes führte das Team ausführliche Fallstudien in China und den Vereinigten Staaten durch – den beiden größten Erzeugern petrochemischer Produkte der Welt. „Diese Fallstudien unterstrichen, dass die lokalen Einstellungen sowohl zur Umweltverschmutzung, als auch zu den dafür verantwortlichen Unternehmen trotz der Auswirkungen auf die Umwelt und der gesundheitlichen Belastungen oft zwiespältig bleiben“, so Mah. „Wir stellten auch fest, dass diese Fallstudien krasse und seit Langem bestehende soziale Ungleichheiten bezüglich der Aussetzung gegenüber Giftstoffen und den damit verbundenen Risiken offenbarten.“ Basierend auf dieser Arbeit entwickelte die Forschungsgruppe eine interaktive globale Karte über die Petrochemie, die der Öffentlichkeit online frei zur Verfügung steht. „In Zusammenarbeit mit internationalen Forschenden und gemeinschaftlichen Einrichtungen kartierten wir 75 Fälle wichtiger petrochemischer Standorte, lokaler Gemeinschaften, Mobilisierungen durch die Gemeinden und Arbeitskräfte sowie Details zu Emissionen, Umwelt- und Sicherheitsbilanzen, Fotos und Medienberichte“, erklärt Mah. Das Projekt rief außerdem das Online-Magazin „Toxic News“ ins Leben und gibt zurzeit dem Buch „Petrochemical Planet“ den letzten Schliff, das einen umfassenden Überblick über die Arbeit des Projekts bereitstellen wird.
Sozialwissenschaftliche Forschung auf völlig neuer Ebene
Dem Projekt ToxicExpertise ist es gelungen, die sozialwissenschaftliche Forschung auf eine völlig neue Ebene zu hieven, indem sie die weitreichenden Auswirkungen der petrochemischen Industrie auf die Gesellschaft beschreibt. „Trotz jahrzehntelangem Aktivismus für Umweltgerechtigkeit bleiben systemische umweltbedingte Ungerechtigkeiten bestehen, besonders für Minderheiten, Geringverdienende und die Arbeiterklasse auf der ganzen Welt“, schließt Mah. „Dieses Projekt stellt diese sozialen Ungleichheiten, die Rolle mächtiger Konzerne und den Handlungsbedarf, um einen gerechteren – und nachhaltigen – industriellen Wandel sicherzustellen, ins Rampenlicht.“
Schlüsselbegriffe
ToxicExpertise, giftig, Giftstoff, Umweltbelastung durch Giftstoffe, petrochemische Industrie, Umweltgerechtigkeit, soziale Verantwortung, soziale Ungleichheiten