Liebe deinen Nächsten: wie Bakterien gemeinsam gegen Antibiotika vorgehen
Antibiotikaresistenzen wurden von der Europäischen Kommission zu einer der größten sozioökonomischen Herausforderungen deklariert. Neuen Erkenntnissen zufolge könnte auch die Umweltbranche zur Verbreitung von Antibiotikaresistenzen beitragen, über etwaige Mechanismen ist aber noch wenig bekannt. Da Bakterien in Kläranlagen eine Verbindungsstelle zwischen Mensch, Tier und Umwelt darstellen, muss vor allem geklärt werden, wie es zur Ausbreitung und Rückübertragung von Antibiotikaresistenzen in die menschliche Population kommt.
Bakterielle Interaktionen in Biofilmen
So untersuchte das Projekt SHARE_WW, wie verschiedene Bakterienarten in spezialisierten dreidimensionalen Gemeinschaften in Biofilmen zusammenleben und dabei Resistenzgene übertragen werden. Unterstützt wurde die Forschungsarbeit durch die Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen (MSCA), für die Co-Kulturen vier verschiedener Bakterien angelegt wurden, sodass Biofilme mit mehreren Arten entstanden. „In der Natur leben Bakterien niemals allein oder als einzelne Zellen, sondern immer in einem Mikrobenverband. Zwischen ihnen gibt es nachbarschaftliche Beziehungen, seien es Assoziationen oder Konkurrenz“, erklärt die MSCA-Forschungsstipendiatin Ana Filipa Silva. Schwerpunkt waren Resistenzen gegen Beta-Lactame, eine häufige Gruppe von Antibiotika, die derzeit im Kampf gegen multiresistente Krankenhauskeime als Zweitlinienantibiotikum eingesetzt werden. Berichten zufolge wurden bereits Bakterien in Abwässern nachgewiesen, die Beta-Lactame über das Enzym Beta-Lactamase abbauen. So können sie das Antibiotikummolekül chemisch aufspalten und wirkungslos machen. Um die Wechselwirkung zwischen Biofilmproduktion und Beta-Lactam-Resistenz zu klären, untersuchte Ana Filipa Silva, wie das Antibiotikum die bakterielle Organisation in der Biofilmmatrix beeinflusst. Dabei zeigte sich, dass Bakterien, die in dauernder Nachbarschaft und einem Biofilm leben, stabiler sind, weil sie mit ihren Nachbarn kooperieren. Droht Gefahr durch ein Antibiotikum, wird eine widerstandsfähigere Biofilmmatrix erzeugt, sodass auch benachbarte empfindlichere Bakterien von einer dichten Schutzschicht umgeben sind. Sind antibiotikaresistente Bakterien zugegen, werden deren Resistenzgene auf die empfindlicheren Spezies übertragen, sodass sie vor dem Antibiotikum geschützt sind. Zudem scheiden resistente Arten das für den Antibiotikaabbau zuständige Enzym offenbar auch in die Umgebung aus, was für ihre empfindlichen Nachbarn eine zusätzliche Schutzschicht darstellt.
Zielgruppe der Nachbarn: neue Strategie im Kampf gegen Antibiotikaresistenzen
Insgesamt lieferte SHARE_WW Grundlagenwissen zu ökologischen Rahmenbedingungen für die Entstehung von Beta-Lactam-Resistenzen in Biofilmen. „Vor allem zeigte unsere Forschungsarbeit, dass bei der klinischen Diagnose und Behandlung die Gesamtheit aller Bakterien in einem Biofilm berücksichtigt werden muss, gleich, ob sie empfindlich oder resistent gegen Antibiotika sind“, betont Ana Filipa Silva. Bakterien in Biofilmen bilden eine kooperierende Gemeinschaft, die sich gegen Antibiotika zur Wehr setzen kann. Dabei geben resistente Bakterien Resistenzgene und Enzyme an sensitive Bakterienarten weiter und bauen so eine schützende Biofilmmatrix für sie auf. Sind die Voraussetzungen und Prozesse besser geklärt, die solchen Ereignissen zugrunde liegen, könnten daraus künftige und wirksamere Strategien zur Beseitigung von Antibiotikaresistenzen in Abwässern hervorgehen. Zudem könnte dies den Fokus wegverlagern vom Konzept, nur antibiotikaresistente Bakterien zu bekämpfen, und stattdessen Strategien gegen alle Arten von Bakterien in einem Biofilm zu entwickeln. Die Klärbranche hat bereits Interesse an den Ergebnissen von SHARE_WW signalisiert und will auf dieser Basis die Wasseraufbereitung entsprechend anpassen, insbesondere, wenn das geklärte Wasser wieder für den menschlichen Gebrauch bestimmt ist.
Schlüsselbegriffe
SHARE_WW, Bakterien, Biofilm, Antibiotikaresistenz, Abwasser, Beta-Lactam, Beta-Lactamase