Mehr Wissen über die Evolution der Krankheitserreger bringt uns Einmalimpfstoffen näher
Der Schlüssel zu unserem Immunsystem ist die Produktion von aus Proteinen gebildeten Antikörpern, die Antigene oder Moleküle erkennen, sich an der Außenseite von Pathogenen an diese binden und sie dann blockieren oder zerstören. Bei der durch das Influenzavirus verursachten Grippe entwickeln sich diese Antigene stetig weiter. Dieser als „Antigendrift“ bezeichnete Prozess erschwert es dem Immunsystem, Antigene zu erkennen und auf diese Weise zu bekämpfen. Infolgedessen kann sich innerhalb von Bevölkerungsgruppen nie eine umfassende Immunität gegen die Grippe ausbilden. „Antigendrift“ allein erklärt jedoch nicht, warum in jeder Grippesaison einzelne oder eine begrenzte Anzahl Stämme dominieren, wo doch rein theoretisch eine unendliche Anzahl möglich ist. Deshalb entwickelte das EU-finanzierte Projekt DIVERSITY eine Theorie, nach der spezifische, vom Immunsystem erkannte Antigenabschnitte, sogenannte Epitope, doch nicht so stark wie bisher angenommen variieren. Das vom Europäischen Forschungsrat finanzierte Projekt UNIFLUVAC konnte innerhalb mehrerer Influenza-Subtypen mit Erfolg derartige Epitope mit begrenzter Variabilität identifizieren. „Wir haben nachgewiesen, dass diese Epitope im Lauf ihrer Evolution zyklisch zwischen einer begrenzten Anzahl von Variationen wechseln. Deshalb können wir sie mit einem Impfstoff bekämpfen, der vor allen Grippestämmen des Menschen aus Vergangenheit und Gegenwart sowie möglicherweise auch vor Pandemiestämmen schützt“, sagt Projektkoordinator Craig Thompson von der University of Oxford, an der das Projekt beheimatet ist. Entscheidend ist, dass die Forschung sowie die entwickelten Werkzeuge und Verfahren auch auf andere Pathogene einschließlich des COVID-19 verursachenden Pathogens angewandt werden könnten. Tatsächlich hat die Gruppe in Oxford zusammen mit dem Scottish National Blood Transfusion Service die Projektverfahren dazu eingesetzt, um die Verbreitung von COVID-19 in Schottland nachzuverfolgen. Das Team bereitet aktuell eine Phase-I-Humanstudie des Grippeimpfstoffs mit Erwachsenen im Alter von 18–65 Jahren vor und ist eine Partnerschaft mit dem amerikanischen Start-up-Unternehmen www.bluewatervaccines.com (Blue Water Vaccines) eingegangen, um den Impfstoff direkt nach seiner Fertigstellung zu kommerzialisieren.
Das begrenzte Repertoire der Grippe
Das alternative „Antigendrift“-Modell von UNIFLUVAC stützt sich auf die Hypothese, dass Epitope als Reaktion auf Veränderungen der Bevölkerungsimmunität ihr Repertoire an begrenzten Varianten zyklisch durchlaufen. Anhand des Antigenmodells des Projekts konnte nach Mustern in der alljährlichen Grippeentwicklung gesucht werden, um diesbezüglich Vorhersagen zu treffen, die im Labor getestet werden könnten. Das Team ermittelte Epitope mit begrenzter Variabilität bei avian-and-other-zoonotic (H1, H3 und Influenza B), die typischerweise nur drei bis vier Varianten aufwiesen. Auch aufgrund der Lage dieser mutierten Epitope ist es sehr wahrscheinlich, dass sie eine schützende Immunantwort hervorrufen. Das Modell wurde mit einer strukturellen bioinformatischen Analyse kombiniert, um einen Impfstoff zu entwerfen, der an Mäusen auf seine Wirksamkeit gegen alle Grippestämme getestet wurde. Diese Stämme mit ihren ähnlichen Epitopen waren nachweislich chronologisch verschieden, d. h. zeitlich getrennt mit einem Stamm als Vorläufer eines anderen, aber mit mehreren dazwischen geschalteten Mutationen. Es stellte sich heraus, dass die Mäuse erfolgreich Antikörper gegen diese Stämme produzierten und über einen Schutz verfügten, wenn sie mit diesen Stämmen infiziert wurden. Das Team replizierte diese Ergebnisse auch in Humanseren, die Kleinkindern für eine frühere Hepatitis-B-Impfstoffstudie entnommen worden waren.
Auf dem Weg zu einem Einmalimpfstoff
Mit der Impfung gegen alle früheren und aktuellen Epitopvariationen soll nicht nur ein besseres Maß an Schutz vor Grippe erreicht werden, sondern sollen auch die jährlichen Impfungen enden. Da die Impfstoffe mit den heute üblichen Herstellungsverfahren unter Einsatz inaktivierter oder abgeschwächter Grippeviren hergestellt werden können, werden die Preise niedrig bleiben können. Aufgrund dieser Tatsache könnten die Impfstoffe für die Pharmaunternehmen attraktiv sein, während die geringere Anzahl der Dosen, die zur Erzeugung der Immunität erforderlich sind, auch dem Gesundheitsdienstleistungssektor gefallen dürften. „Unser Grippeimpfstoff ist wahrscheinlich noch fünf bis zehn Jahre von der kommerziellen Verfügbarkeit entfernt. Wir planen außerdem, die Technologie zur Entwicklung weiterer Impfstoffe zu nutzen, wobei als Kandidat ein COVID-19- oder ein nichtspezifischer Coronavirus-Impfstoff naheliegen“, erklärt Thompson abschließend.
Schlüsselbegriffe
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