Der Avatar, der Männer in die Lage einer misshandelten Frau versetzt
Es ist ein erschreckendes Szenario für den weiblichen Avatar, bei dem sie nichts gewinnen kann. Die Tür öffnet sich, ein Mann betritt den Raum und beginnt, die Frau anzuschreien. Wenn sie etwas sagt oder ihn ansieht, schreit er: „Halt den Mund!“ Es ist eine VR-Erfahrung (virtuelle Realität), bei der der weibliche Avatar in einer Cartoon-Welt von einem männlichen Avatar bedroht wird. Aber es fühlt sich sehr real an für die Person, die das Headset trägt: ein Mann, der es gewohnt ist, auf der anderen Seite der Misshandlung zu stehen. Beim EU-Projekt VRespect.Me wurde die neueste VR-Technologie eingesetzt, um misshandelnde Männer in den Körper einer Frau zu versetzen, auf die Empfängerseite der Misshandlung. Es zeigt, dass es diesen Männern helfen kann, sich zu verändern, und eventuell Leben retten kann. Das Projekt basiert auf Untersuchungen, die darauf hindeuten, dass manche Männer gar nicht erkennen, wie die Angst einer anderen Person tatsächlich aussieht. „Unsere Interventionen verbessern die Bausteine der Empathie, sie verbessern zum Beispiel die Fähigkeit der Täter, die Emotionen ihrer Opfer zu erkennen“, sagt Mavi Sánchez-Vives, Chief Medical Officer bei Virtual Bodyworks, dem spanischen Unternehmen, das VRespect.Me entwickelte. „Für den virtuellen Täter haben wir mit einer ähnlichen Technologie, wie sie für Hollywood-Filme verwendet wird, Aufnahmen von einem Schauspieler gemacht“, sagt Bernhard Spanlang, CTO bei Virtual Bodyworks. „Diese Daten haben wir anschließend durch Modellierung und Programmierung in das VR-Erlebnis umgewandelt.“ Im Rahmen von VRespect.Me und dem früheren EU-Projekt www.vereproject.org (VERE) führten die Forscher anhand der VR-Erfahrung fünf Studien durch. Eine wissenschaftliche Studie, „Offenders become the victim in virtual reality :impact of changing perspective in domestic violence“, wurde in Nature veröffentlicht. In einer vier Jahre laufenden Studie durchlebten 184 verurteilte Straftäter das Szenario. Rund 2,2 % von ihnen wurden im Nachbeobachtungszeitraum rückfällig, während es nach einer Standardrehabilitation 6 % sind. Diese Daten sind zwar vorläufig, die Ergebnisse sind jedoch ermutigend.
Neue Perspektive
Die Forscher testeten das System in Katalonien im Nordosten Spaniens an Häftlingen und Männern, die Bewährungsstrafen verbüßten. Die Ergebnisse beeindruckten alle, die mit misshandelnden Männern arbeiten. Die katalanische Regionalregierung hat VRespect.Me für ein Gefängnis in Tarragona gekauft. Auch andere Organisationen in Europa haben es bestellt. Sie hoffen, dass sie damit ein Problem lösen können, von dem laut Weltgesundheitsorganisation eine von drei Frauen in ihrem Leben betroffen ist. In Europa zeigte sich im Rahmen der Studie über Gewalt gegen Frauen in der EU (2012) der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte, dass 22 % der Frauen im Alter von über 15 Jahren in Spanien, wo das Projekt durchgeführt wurde, im vorangegangenen Jahr physische oder sexuelle Gewalt erlitten, ansteigend auf 52 % in Dänemark. „Geschlechtsspezifische Gewalt sollte es im 21. Jahrhundert nicht geben und die Lösungen sollten die Gesellschaft als Ganzes involvieren“, sagte Charlie Pearmund, Managing Director bei Virtual Bodyworks. Das Team von VRespect.Me entwickelt nun neue Skripte für das Produkt, um die Empathie der Gesellschaft für die Opfer von Gewalt zu erhöhen, die manchmal sogar für das verantwortlich gemacht werden, was ihnen passiert. „Wir haben jetzt 20 Freiwillige, die mit Tätern und Opfern häuslicher Gewalt arbeiten und sich regelmäßig treffen, um neue Szenarien für die Lösung zu entwickeln und ihnen zu helfen, sie an diejenigen weiterzugeben, die sie benötigen“, so Pearmund.
Schlüsselbegriffe
VRespect.Me, Avatar, virtuelle Realität, misshandelnde Männer, Misshandlung, Empathie, häusliche Gewalt, geschlechtsspezifische Gewalt