Astronomen ermitteln im Fall eines kosmischen Crashs
Zusammenstöße im Universum wecken bei Astronomen und Laien gleichermaßen großes Interesse. Kollidieren gar ganze Galaxienhaufen, so werden auch haufenweise Informationen frei. Ein internationales Wissenschaftlerteam hat nun neues Licht in die Geschichte eines kosmischen Crashs gebracht, dessen Ergebnis vor Millionen von Jahren der Galaxienhaufen Abell 2744 war. Die Studie, teilweise finanziert durch das DARKMATTERDARKENERGY-Projekt ("Understanding the dark universe with 3D (three-dimensional) weak gravitational lensing"), das unter dem Siebten EU-Rahmenprogramm (RP7) 100.000 EUR innerhalb von Internationalen Marie-Curie-Wiedereingliederungsbeihilfen (International Reintegration Grant, IRG) erhielt, soll an der Aufklärung des Einflusses von Strukturen auf die Entstehung des Universums mitwirken. Die Ergebnisse erschienen in der Fachzeitschrift Monthly Notices der Royal Astronomical Society. "Genau wie ein Unfallsachverständiger, der die Trümmerstücke wieder zusammensetzt, um die Unfallursache zu finden, können wir durch Beobachtungen solcher kosmischen Massenkarambolagen den Ereignissen auf die Spur kommen, die sich über hunderte Jahrmillionen hinweg während des Zusammenstoßes abgespielt haben", erklärt Erstautor Dr. Julian Merten vom Institut für Theoretische Astrophysik an derUniversität Heidelberg, Deutschland. "So können wir entschlüsseln, wie sich große Strukturen im Universum bilden und wie verschiedene Arten von Materie wechselwirken, wenn sie miteinander kollidieren." Koautor Dr. Renato Dupke, Forschungspraktikant am Fachbereich Astronomie der University of Michigan in den Vereinigten Staaten berichtet, dass das Team dem Haufen den Spitznamen "Pandoras Galaxienhaufen" gegeben hätte, da durch die Kollision so viele verschiedene und teilweise seltsame Phänomene ausgelöst wurden. "Einige dieser Phänomene hatte man bisher noch nie beobachten können." Die Untersuchungen an Abell 2744 wurden im Laufe der Jahre intensiviert: Die Astronomen kombinierten bei der Durchführung dieser Studien Daten des Hubble-Weltraumteleskops von ESA (Europäische Weltraumorganisation) und NASA, des Very Large Telescope (VLT) der Europäischen Südsternwarte (ESO), des japanischen Subaru-Teleskops sowie des NASA-Röntgensatelliten Chandra. Sowohl in den Hubble- als auch in den VLT-Aufnahmen sind die einzelnen Galaxien deutlich zu erkennen. Den Forschern zufolge machen sie allerdings trotz ihrer imposanten Erscheinung lediglich 5% der Gesamtmasse aus. Der Rest besteht zu etwa 75% aus Dunkler Materie, die unsichtbar ist, und aus 20% heißem Gas - so heiß, dass es nur im Röntgenbereich zu sehen ist. Um den Ablauf von Kollisionen zu enträtseln, kartierten die Wissenschaftler die Verteilung aller Materiearten in Abell 2744. Die Dunkle Materie ist recht geheimnisvoll, da sie Licht weder emittiert noch absorbiert oder reflektiert; nur durch ihre Schwerkraftwirkung wird ihr Vorhandensein überhaupt offenbar. Das Team nutzte daher den Gravitationslinseneffekt aus, der eine Ablenkung des Lichtes weiter entfernter Hintergrundgalaxien bewirkt, das auf seinem Weg die Gravitationsfelder des Galaxienhaufens durchquert. Den Angaben zufolge ist das Ergebnis eine Reihe charakteristischer Verzerrungen der Bilder der Hintergrundgalaxien in den VLT- und Hubble-Aufnahmen. Mit Hilfe der sorgfältigen Auswertung der Verzerrung dieser Bilder konnten die Wissenschaftler dokumentieren und rekonstruieren, wo genau sich die unsichtbare Masse - und damit die Dunkle Materie - befindet. Das Röntgenobservatorium Chandra lieferte - wie das Team berichtet - auf unkomplizierte Weise direkte Beobachtungsdaten zur Kartierung des heißen Gases. Diese Beobachtungen waren dabei nicht nur von entscheidender Bedeutung, um die Verteilung des Gases zu bestimmen, sondern sie verrieten auch die Winkel und Geschwindigkeiten, mit denen die einzelnen Komponenten des Galaxienhaufens zusammenkamen. Die Auswertung der Ergebnisse brachte viele Besonderheiten hervor. "Abell 2744 scheint sich bei einer etwa 350 Millionen Jahre dauernden Serie von Kollisionen aus vier verschiedenen Galaxienhaufen gebildet zu haben", erläutert Dan Coe vom Space Telescope Science Institute in den Vereinigten Staaten. "Die komplexe und ungleichmäßige Verteilung der verschiedenen Materietypen ist sehr ungewöhnlich und faszinierend." Für das Forscherteam liegt nun nahe, dass der komplexe Zusammenstoß einen Teil des heißen Gases und der Dunklen Materie voneinander getrennt hat, so dass diese räumlich getrennt voneinander und von den sichtbaren Galaxien liegen. Beiträge zu dieser Studie leisteten Astronomen aus Brasilien, Israel, Italien, Taiwan, dem Vereinigten Königreich und den USA.Für weitere Informationen: Monthly Notices of the Royal Astronomical Society: http://www.wiley.com/bw/journal.asp?ref=0035-8711 Institut für Theoretische Astrophysik an derUniversität Heidelberg http://www.ita.uni-heidelberg.de/ Marie-Curie-Maßnahmen: http://cordis.europa.eu/fp7/ict/home_en.html
Länder
Brasilien, Deutschland, Israel, Italien, Taiwan, Vereinigtes Königreich, Vereinigte Staaten