Bioinvasoren von heute bergen das Chaos von morgen
Welche Triebkräfte stecken eigentlich hinter Bioinvasionen, d.h. der Verbreitung gebietsfremder Arten? Neuere EU-finanzierte Forschung weist nach, dass Globalisierung und Wirtschaftswachstum diese Invasionen zweifellos fördern; für die Probleme sind allerdings eher die bereits früher eingewanderten gebietsfremden (standortfremden) Arten als die Neuankömmlinge verantwortlich. So gibt es eine stärkere Verknüpfung zwischen der Verbreitung der heimisch gewordenen gebietsfremden Arten und historischen - nicht den aktuellen - sozioökonomischen Bedingungen. Die im renommierten Fachblatt Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) vorgestellte Studie stellt fest, dass die Folgen des derzeitig hohen Niveaus der sozioökonomischen Aktivität für das Ausmaß biologischer Invasionen nur in der Zukunft zur Realität werden - nicht bereits in der Gegenwart. Die Forschung ist Teil des DAISIE-Projekts ("Delivering alien invasive species inventories for Europe"), das im Themenbereich "Nachhaltige Entwicklung, globale Veränderungen und Ökosysteme" des Sechsten EU-Rahmenprogramms (RP6) mit Mitteln in Höhe von 2,4 Mio. EUR unterstützt wird. Es erhielt außerdem Unterstützung aus dem ECOCHANGE-Projekt ("Challenges in assessing and forecasting biodiversity and ecosystem changes in Europe"), dem innerhalb des RP6 7 Mio. EUR zukamen. Bereits frühere Studien haben gezeigt, dass die ökonomischen Aktivitäten der Menschen ganz wesentlich die Intensität biologischer Invasionen beeinflussen. Deshalb ist so viel die Rede davon, Wege zu finden, derartige Einschleppungen einzuschränken, wobei man auch über Handelsreglementierungen nachdenkt. Allerdings beweisen Verzögerungen zwischen der anfänglichen Einführung einer Art in ein neues Territorium und ihrer Etablierung und Verbreitung, dass aus aktuellem wirtschaftlichen Verhalten resultierende Invasionen mehr Zeit in Anspruch nehmen als erwartet, was in einer "invasion debt" (dt.: Schuld) zum Ausdruck kommt, so die Experten. Zum Zwecke dieser Studie wählte das 16-köpfige Forscherteam drei Prädiktoren der sozioökonomischen Aktivität bezogen auf Invasionen: das Pro-Kopf-BIP (Bruttoinlandsprodukt), die Bevölkerungsdichte und den Anteil der Exporte am BIP. Die biologischen Invasionen wurden auf Basis umfangreicher Daten zu gebietsfremden Arten aus 10 taxonomischen Gruppen und 28 europäischen Ländern untersucht, wobei sich Muster der etablierten nichtheimischen Arten zeigten. Nach Ansicht der Experten lässt sich die Anzahl gebietsfremder Arten besser mit sozioökonomischen Daten von 1900 als mit den heutigen - sagen wir aus dem Jahr 2000 - erklären. Die Intensität des historischen Signals schwankt zwischen verschiedenen taxonomischen Gruppen mit guten Verbreitungsmöglichkeiten, etwa Insekten und Vögel, und ist stärker mit sozioökonomischen Triebkräften neueren Datums verknüpft, nehmen die Forscher an. Doch ihre Erkenntnisse lassen ein bedeutendes historisches Erbe für die meisten beobachteten Arten vermuten. "Die breite taxonomische und geografische Abdeckung weist darauf hin, dass eine solche 'invasion debt' ein weit verbreitetes Phänomen ist", erklärt Franz Essl vom österreichischen Umweltbundesamt, Hauptautor der Studie. Stefan Dullinger von der Universität Wien dazu: "Diese Schwerfälligkeit ist beunruhigend, da sie impliziert, dass das gegenwärtige höhere Ausmaß an sozioökonomischer Aktivität wahrscheinlich zu einem kontinuierlich ansteigendem Ausmaß an Invasionen in den kommenden Jahrzehnten führen wird, selbst wenn neue Einfuhren erfolgreich eingeschränkt werden könnten." Die Wissenschaftler schreiben in der Veröffentlichung: "Unsere Daten demonstrieren, dass das sozioökonomische Vermächtnis bezüglich des Reichtums an gebietsfremden Tieren und Pflanzen über viele taxonomische Gruppen hinweg maßgeblich ist und sich mindestens ein Jahrhundert lang auswirkt." "Diese Schwerfälligkeit bringt mit sich, dass die Folgen der gegenwärtigen sozioökonomischen Tätigkeit für das Ausmaß biologischer Invasionen erst in mehreren Jahrzehnten Realität werden. Laufende europäische und globale Initiativen zur Bekämpfung von Invasionen sollten durch diese Feststellung allerdings nicht demotiviert werden." "Auf lange Sicht werden sicherlich die genauere Identifikation und die bessere Kontrolle der taxonspezifischen hochrisikobehafteten Einschleppungswege sowie eine allgemeine Senkung des Problemdrucks durch Pflanzenmaterialien, die der Verbreitung dienen, der Schlüssel zur Bewältigung der sich aus Bioinvasoren ergebenden Probleme sein. Unsere Ergebnisse untermauern jedoch die Tatsache, dass selbst bei einer erfolgreichen Reduzierung der weiteren unbeabsichtigten Einführung durch diese Initiativen die mittelfristigen Auswirkungen gebietsfremder Arten auf die biologische Vielfalt und die Wirtschaft höher sein könnten, als man derzeit erwartet." Solide Beiträge zu der Studie wurden von Wissenschaftlern aus Deutschland, Frankreich, Italien, Neuseeland, Spanien, der Schweiz, Österreich und der Tschechischen Republik erbracht.
Länder
Österreich, Schweiz, Deutschland, Spanien, Frankreich, Italien, Neuseeland