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Inhalt archiviert am 2023-03-02

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Bakterien entgiften Fischereigewässer

Ein internationales Forscherteam hat herausgefunden, dass Schwefelwasserstoff, der für viele Lebensformen giftig ist - so z.B. auch für wirtschaftlich wichtigen Fisch -, häufig in tiefen Gewässern von Sulfid oxidierenden Bakterienblüten "gereinigt" wird, wodurch den gängigen Ü...

Ein internationales Forscherteam hat herausgefunden, dass Schwefelwasserstoff, der für viele Lebensformen giftig ist - so z.B. auch für wirtschaftlich wichtigen Fisch -, häufig in tiefen Gewässern von Sulfid oxidierenden Bakterienblüten "gereinigt" wird, wodurch den gängigen Überwachungssystemen riesige Bereiche sauerstoffarmen Wassers verborgen bleiben. Ihre Forschungsergebnisse, die vom Fachmagazin Nature im Internet veröffentlicht wurden, werden für die Entsorgung landwirtschaftlicher Abfälle in Küstengewässer Konsequenzen haben. "Küstengewässer beliefern die weltweite Fischereiwirtschaft mit etwa 90% ihrer Gesamterträge und stellen daher eine bedeutende Nahrungsquelle für unseren Planeten dar", erklären die Verfasser der Studie. Wenn chemische Nährstoffe wie Stickstoff oder Phosphor (d.h. Düngemittel) in diese Gewässer gelangen, nimmt der Sauerstoffgehalt stark ab. Dieser Vorgang, auch Eutrophierung genannt, führt auch zu einem raschen Anstieg der Konzentration an giftigem Schwefelwasserstoff, was für die küstennahen Ökosysteme verhängnisvolle Folgen hat. Die Einleitung landwirtschaftlicher Abfälle ist aber nicht die einzige Ursache für die Eutrophierung. Auch steigt die Stickstoffkonzentration in der Atmosphäre durch menschliche Aktivitäten, wodurch dieser ins offene Meer gelangt und dort für bis zu einem Drittel der Zufuhr von regeneratfreiem Stickstoff verantwortlich ist. Doch unabhängig von der Ursache führt dies letztlich dazu, dass in den giftigen Abschnitten Fische und Schalentiere sterben, wodurch die Fänge geringer ausfallen und die Artenvielfalt bedroht wird. Ein Team unter der Leitung von Dr. Marcel Kuypers vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Deutschland hat das Benguela-System vor der namibischen Küste in Afrika untersucht und den Umfang und die Entwicklung eines Schwefelwasserstoff-"Abschnitts" entdeckt. Die Wissenschaftler nahmen Proben aus unterschiedlichen Tiefen und an unterschiedlichen Stellen eines weiten Gebietes und fanden heraus, dass 7.000 Quadratkilometer von der giftigen Verbindung betroffen waren, obwohl man das dem Oberflächenwasser nicht ansehen konnte. Sie überwachten den Abschnitt über einen gewissen Zeitraum und fanden heraus, dass das Sulfid in einigen Tiefen verschwand und an anderen Stellen tiefer in die suboxische Zone sank, wo der Sauerstoffgehalt sehr gering ist. "Diese offenkundige Sulfidsenke in der suboxischen Zone deutet stark darauf hin, dass das Sulfid in der Wassersäule anaerob oxidiert wurde", heißt es in der Studie. Umweltwissenschaftler verwenden das Modell einer "Wassersäule", um die Eigenschaften der verschiedenen Wasserschichten nachvollziehen zu können. So sind beispielsweise Organismen, die am Meeresboden (Benthos) leben, auf einen bestimmten Bereich des pH-Wertes, des Drucks und des Salzgehalts angewiesen und weniger auf ein Mittel dieser Werte zwischen dem Meeresboden und der Wasseroberfläche. Die Wissenschaftler kamen zu dem Schluss, dass, weil bei Abwesenheit von Sauerstoff Stickstoff für die Oxidation von Sulfid am geeignetsten ist und weil es in etwa 90 Metern Wassertiefe, in der suboxischen Zone, überlappende Wasserschichten von Stickstoff und Sulfid gab, eine bedeutsame Wechselwirkung stattfinden muss. Im Wasser in Meeresbodennähe konnten sie ähnliche Konzentrationen von Ammonium und Sulfid beobachten, sahen aber auch, dass Ammonium genau über dem Sulfid verschwand (oder anaerob oxidiert wurde). "Ganz offensichtlich wurde es anaerob - also ohne Sauerstoff - oxidiert", erklärt Torben Stührmann vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie. "Viele Bakterien brauchen zum Atmen keinen Sauerstoff, sondern nutzen stattdessen Stickstoff. Und tatsächlich fanden wir überlappende Wasserschichten von Sulfid und Stickstoff." Für Anammox-Bakterien (anaerobe Ammoniak-Oxidation) wurde kürzlich nachgewiesen, dass sie für einen starken Stickstoffabfall in diesen Gewässern verantwortlich sind. Ausgestattet mit diesem Wissen untersuchten die Forscher ihre Proben, um zu sehen, ob der Schwefelwasserstoff von den Bakterien in irgendeiner Weise umgewandelt wird. Sie führten umfangreiche chemische und genetische Analysen durch und fanden dabei heraus, dass zwei verschiedene Arten von Proteobakterien an der "chemolithotrophen" Oxidation mithilfe von Stickstoff beteiligt sind. Lithotrophe Lebewesen sind die natürlichen "Wiederaufbereiter" von Schwefel und Stickstoff, chemolithotrophe Lebewesen wiederum sind in anderen Organismen lebende Tiefseebakterien, die wohl aus einer Art der Cyanobakterien entstanden sind. Die in dieser Studie entdeckten Proteobakterien stehen offenbar mit der Candidatus Ruthia magnifica in Zusammenhang, einer Bakterie, deren Lebensraum eine an kalten und warmen Quellen wohnende Muschel ist. Durch Oxidation des Schwefelwasserstoffs im Meer hat die Bakterie zwischen dem sauerstoffreichen Oberflächenwasser und dem giftigen Tiefseewasser gewissermaßen eine Pufferzone erschaffen. Die an der aktuellen Studie beteiligten Wissenschaftler zeigten auf, dass die Bakterien eine Fläche der dreifachen Größe Luxemburgs gereinigt hatten. Dies ist die erste Darstellung einer so großflächigen bakteriellen Entgiftung sulfidangereicherten Wassers im offenen Meer. Die Bedeutung ihrer Ergebnisse ist immens: Für das Absuchen der Meere auf giftige Ereignisse ist man auf Technologien angewiesen, die nur bis in das Oberflächenwasser vordringen können. Sollten Bakterien im Anschluss an eutrophische Ereignisse das Wasser in größeren Tiefen reinigen, würde es sehr schwierig sein, das Ausmaß dieser Ereignisse genau zu überwachen. "Unsere Entdeckung einer riesigen entgiftenden Bakterienblüte hat sowohl einen positiven als auch einen beunruhigenden Aspekt", meint Dr. Kuypers. "Schwefelwasserstoff ist giftig für höheres Leben und tötet Fische, Austern, Krabben und sogar Hummer schon in niedrigen Konzentrationen. Die gute Neuigkeit: Die nun entdeckten Bakteriengruppen verbrauchen augenscheinlich das gesamte Sulfid, ehe es das von Fischen bevölkerte Oberflächenwasser erreicht. Besorgniserregend ist aber, dass ein Gebiet so groß wie das Wattenmeer oder die Irische See von sulfidischem Bodenwasser betroffen sein kann, ohne dass wir es mit Satellitenmessungen oder Überwachungsstationen an der Küste bemerken." Aktuellen Schätzungen zufolge wird die Sauerstoffarmut in Küstengewässern in den kommenden Jahrzehnten noch weitaus größere Ausmaße annehmen, sowohl aufgrund der durch den Menschen verursachten Eutrophierung als auch durch die globale Erwärmung. Doch Dr. Gaute Lavik vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie ist zuversichtlich: "Wir können das Auftreten der Sulfidwolken nun zu bestimmten Umweltbedingungen in Beziehung setzen. Das eröffnet die Möglichkeit, zukünftig solche Ereignisse vorherzusagen."

Länder

Österreich, Deutschland, Namibia, Schweden

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