Genomweite Studie an Europäern entdeckt neue genetische Risikofaktoren für "schlechtes" Cholesterin
Im Zuge einer genomweiten Studie an Tausenden von Testpersonen in ganz Europa wurden 22 genetische Regionen (Loci) entdeckt, die den Lipidspiegel beeinflussen - ein häufiger Indikator für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Sechs dieser Loci sind Neuentdeckungen und tragen vielleicht zur Genauigkeit genetischer Profile bei, die zur Erkennung von Stoffwechselstörungen oder Dyslipidämie eingesetzt werden könnten. Die im Fachmagazin Nature Genetics veröffentlichten Studienergebnisse haben zudem genetische Unterschiede des Lipidstoffwechsels bei Männern und Frauen aufgezeigt. Das internationale Forscherteam untersuchte Serumlipiddaten von 17.798 bis 22.562 Europäern (je nach untersuchtem Lipidmerkmal). Bei dieser Studie handelt es sich um eine genomweite Gesamtanalyse von 16 europäischen Studien, in der die Daten großer Gruppen von Testpersonen zusammen betrachtet wurden, um genetische Faktoren zu ermitteln, die die Serumkonzentration des Low-Density-Lipoprotein-Cholesterins, der Triglyceride und des Gesamtcholesterins beeinflussen. Die Daten wurden vom ENGAGE-Projekt ("European network for genetic and genomic epidemiology"), das sehr umfangreiche genetische Daten von einer beträchtlichen Anzahl großer Sätze europäischer Proben zusammenfasst, zur Verfügung gestellt. ENGAGE wird von der EU unter dem Siebten Rahmenprogramm (RP7) mit einer Summe von 12 Millionen Euro finanziert und hat zum Ziel, die im Zuge umfangreicher Forschungsarbeiten erstellte Datenfülle in Informationen umzuwandeln, die für künftige Fortschritte in der klinischen Medizin von unmittelbarer Bedeutung sind. "Serumlipide sind wichtige Bestimmungsgrößen für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und stehen im Zusammenhang mit der Sterblichkeit", heißt es in der Studie. Es wurde festgestellt, dass die Konzentration zirkulierender Lipide zum Teil erblich bedingt ist, und in Studien konnte zudem nachgewiesen werden, dass zahlreiche Gene am Lipidstoffwechsel beteiligt sind. In vorangegangenen Studien mit Typ-2-Diabetikern fand man zwar 19 Loci, die Einfluss auf den Serumlipidspiegel haben, aber für eine bessere Prognose von Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist dies nicht ausreichend. In der aktuellen Studie war das untersuchte Material mit keiner speziellen Krankheit belastet, weswegen sie die erste ist, in der eine Verknüpfung zwischen Lipiden und Genen in der allgemeinen Bevölkerung gefunden wurde. Das Forscherteam konnte sechs mit Lipiden verknüpfte Loci entdecken, wobei zwei von ihnen Gene enthalten, die am Lipidstoffwechsel beteiligte Proteine kodieren. Bei der Beurteilung, ob bei einem Patienten ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Stoffwechselstörungen besteht, schauen Ärzte gewöhnlich auf klassische Risikofaktoren wie Alter, Geschlecht und Gewicht. Die Prognose solcher Störungen könnte jedoch mithilfe eines Tools zur genetischen Untersuchung erheblich verbessert werden. Die Forscher beschäftigten sich mit der Frage, ob ihre neuen Erkenntnisse zu einer Verbesserung der "genetischen Risikoprofile" beitragen könnten. So könnten rechtzeitige Vorbeugestrategien wie die Behandlung mit Statinen, einer Klasse von Arzneimitteln zur Senkung des Cholesterinspiegels, oder besondere Ernährungspläne eingesetzt werden. Die Forscher bemerkten, dass sie durch den Einsatz der genetischen Daten das Gesamtcholesterin besser prognostizieren konnten, was bedeutende Auswirkungen auf die Vorhersage hoher Konzentrationen an "schlechtem" Cholesterin (Hypercholesterinämie) oder konorarer Herzerkrankungen hat. Darüber hinaus wollten die Forscher herausfinden, ob diese Unterschiede durch die Untersuchung der genetischen, mit Lipiden verknüpften Loci bestätigt werden können. Schließlich weiß man, dass die Lipidwerte bei Männern und Frauen verschieden sind. "Keine der veröffentlichten GWA-Studien [genomweite Analyse] hatten die potenziellen geschlechtsspezifischen Unterschiede der genetischen Risikoprofile für Lipide zum Untersuchungsgegenstand", heißt es in der Studie. "Hier haben wir ganz verschiedene geschlechtsspezifische Auswirkungen auf einige Gene gefunden, wie es schon epidemiologische und klinische Daten nahegelegt hatten." "Wir können zuversichtlich sein, dass das verbesserte Verständnis zur Regulierung des Lipidspiegels, das wir diesen genetischen Entdeckungen verdanken, mit der Zeit zu besseren Verfahren bei der Behandlung und Vermeidung von Herzkrankheiten und Schlaganfällen führen wird", erklärt Professor Mark McCarthy von der Universität Oxford im Vereinigten Königreich. "Darüber hinaus sollten wir, wenn wir bei der Ermittlung von Patienten mit dem größten Risiko für diese Krankheiten Fortschritte gemacht haben, unsere therapeutischen und präventiven Bemühungen effizienter einsetzen können. So könnten wir uns bei denjenigen auf eine Veränderung der Lebensweise konzentrieren, die aller Voraussicht nach den größten Nutzen daraus ziehen." Neue Tools zur Untersuchung vieler Tausender DNA-Proben innerhalb kurzer Zeit haben umfangreiche Genomanalysen ermöglicht. "Seit 2007 wurden in der Humangenetik Ergebnisse erzielt, die noch vor fünf Jahren undenkbar gewesen wären", stellt Professor Leena Peltonen vom Wellcome Trust Sanger Institute im Vereinigten Königreich fest. "Aber dies ist lediglich der Beginn eines neuen Erkenntniszeitalters. Neue, bedeutungsvollere Studien, wie z.B. unsere Arbeit zum Lipidspiegel, beleuchten die Bereiche und Varianten unseres Genoms, die eine wichtige Rolle für die Humanmedizin spielen."